§ 23 AEG vor erneuter Reform - Ein Ausblick

Absoluter Vorrang des öffentlich-rechtlichen Interesses an der Nutzung zu Eisenbahnbetriebszwecken vor  der baurechtlichen Nutzbarkeit und kommunalen Planung gerechtfertigt?

Mit der zum 29. Dezember 2023 in Kraft getretenen Änderung des § 23 AEG reagierte der Gesetzgeber ursprünglich auf das Ziel, gewidmete Bahnflächen besser zu schützen und eine spätere Wiedernutzung durch die Eisenbahn zu ermöglichen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war nach § 23 Abs. 1 S. 1 AEG eine Freistellung von der eisenbahrechtlichen Widmung und damit ein Wegfall des Fachplanungsvorbehaltes dann möglich, wenn „ein Verkehrsbedürfnis nicht mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist“.

Seit dem 29. Dezember 2023 ist eine Freistellung hingegen nur noch dann zulässig, wenn „das vom Antragsteller geltend gemachte Interesse an der Freistellung das überragend öffentliche Interesse am Bahnbetrieb in der Abwägung überwiegt“.

Die Praxis zeigt jedoch eine gegenteilige Wirkung: Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hat seither über 150 Freistellungsanträge abgelehnt, teils mit erheblichen Auswirkungen auf langjährige kommunale Planungen. Städte wie Stuttgart und Berlin beklagen, dass dringend benötigte Flächen für Wohnungsbau und Stadtentwicklung blockiert bleiben.


Reformversuch gescheitert – nun neuer Anlauf
Bereits in der vorherigen Legislaturperiode war eine Korrektur geplant, scheiterte jedoch an internen Koalitionsdifferenzen. Obwohl im Grundsatz parteiübergreifende Einigkeit über die Problematik bestand, konnte keine Lösung verabschiedet werden.

Der aktuelle Vorstoß stützt sich auf den Koalitionsvertrag, der die Stärkung der Schiene zwar als zentrales verkehrspolitisches Ziel nennt, jedoch auch den Flächenbedarf für gesellschaftlich notwendige Infrastruktur, wie etwa für den Wohnungsbau, anerkennt.


Der neue Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen (BT-Drs. 21/326)
Am 5. Juni 2025 wurde der neue Entwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD im Bundestag beraten. Der Entwurf sieht vor, dass die Entwidmung künftig zulässig sein soll,

  • wenn kein Verkehrsbedürfnis besteht und
  • kein langfristiger Nutzungsbedarf für den Bahnbetrieb prognostizierbar ist.

Das bislang zwingend zu berücksichtigende „überragende öffentliche Interesse“ wird in seiner Wirkung nicht vollständig aufgegeben, sondern unmittelbar an die tatsächlichen Kriterien des Verkehrsbedarfs und der künftigen Bahnnutzung gekoppelt. Liegen beide Voraussetzungen nicht vor, entfällt das öffentliche Interesse am Erhalt des Bahnbetriebszwecks auf dem betreffenden Grundstück.

Zudem wird eine Übergangsregelung in §38 AEG eingeführt: Anträge, die vor dem 29. Dezember 2023 gestellt wurden, sollen nach alter Rechtslage entschieden werden.


Infrastrukturvorsorge vs. Wohnraumbedarf
Städtebau-Initiativen beklagen, dass die aktuelle Rechtslage dringend notwendige Entwicklungen im Wohnungsbau ausbremst ein Vorwurf, der durch die Vielzahl abgelehnter Anträge gestützt wird.

Bahnverbände wie Allianz pro Schiene hingegen warnen davor, das Vorsorgeprinzip für Reaktivierungen zu schwächen. Eine Aufweichung des Schutzes gewidmeter Bahnflächen könne langfristige Ausbauziele gefährden.

 

Nächster Schritt: Bundestagsentscheidung am 26. Juni 2025
Die zweite und dritte Lesung im Bundestag ist für den 26. Juni 2025 angesetzt. Ob sich der Koalitionsentwurf durchsetzt, bleibt abzuwarten. Die politische Einigkeit über die Notwendigkeit einer Änderung scheint aber größer denn je.

 

Fazit:
Die Diskussion um § 23 AEG zeigt exemplarisch den Zielkonflikt zwischen Infrastrukturvorsorge und Flächenverfügbarkeit. Der Gesetzgeber steht vor der Aufgabe, einen rechtssicheren, aber auch praxisgerechten Ausgleich zwische dem Schutz des Eisenbahnbetriebes  und den kommunalen Entwicklungsinteressen zu schaffen.

 

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