Der Streit von Einzelhändlern, Gastwirten und Hoteliers mit Versicherern wegen der Verluste im ersten Lockdown ab Mitte März 2020 ist vor Gericht für die Betroffenen meist ernüchternd ausgegangen. Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte bereits mit Urteil vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21 entschieden, dass einem Versicherungsnehmer auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der von ihm betriebenen Gaststätte in Schleswig-Holstein zustehen. Nun gab der BGH mit seinem Urteil vom 18. Januar 2023,zumindest für den zweiten Lockdown unter Zugrundlegeung der dort vereinbarten Versicherungsbedingungen (AVB) dem Versicherten Recht:
In den der Entscheidung zu Grunde liegenden "Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)", die von Ergo verwendet werden, wurde nur auf die im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten verwiesen. Dort wurde Covid-19 zum 23. Mai 2020 aufgenommen. Das Oberlandesgericht Celle hatte daher am 18. November 2021 entschieden, dass dem klagenden Hotelier zwar nicht für eine Schließung ab März 2020, aber für eine zweite Schließung ab November 2020 Geld aus der BSV zusteht (Az.: 8 U 123/21).
Beide Seiten waren danach in Revision gegangen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun mit Urteil vom Mittwoch (18. Januar 2023) salomonisch in einem von Wilhelm Rechtsanwälte betriebenen Verfahren entschieden: Dem Hotel steht wegen der Schließung während des zweiten Lockdowns Geld aus der BSV zu, aber nicht wegen Betriebsschließung im ersten Lockdown (Az.: IV ZR 465/21).
Die Klägerin hält bei dem beklagten Versicherer eine Betriebsschließungsversicherung. Sie begehrt aufgrund der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in Niedersachsen in der Zeit vom 18.03. bis zum 25.05.2020 Entschädigungsleistungen sowie die Feststellung, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihr den aus der erneuten Schließung ab dem 02.11.2020 entstandenen Schaden zu ersetzen. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)" zugrunde. Nach Ziff. 8.1 BBSG 19 ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Fall einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung den entgehenden Gewinn und fortlaufende Kosten bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit.
Die BBSG 19 lauten auszugsweise: "3.1 Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten: Der Versicherer leistet … Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4) 3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung)". Unter Punkt 3.4 heißt es: "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG."
Mit Allgemeinverfügung vom 18.03.2020 untersagte der zuständige Landkreis unter anderem Betreibern von Beherbergungsstätten, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Nach vorübergehender Lockerung der Maßnahmen war es Betreibern von Beherbergungsstätten durch die am 02.11.2020 in Kraft getretene Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30.10. 2020 erneut untersagt, Übernachtungsangebote zu unterbreiten und Übernachtungen zu touristischen Zwecken zu gestatten. Die Klägerin bot daraufhin in der Zeit vom 18.03. bis zum 25.05.2020 und ab dem 02.11.2020 keine Übernachtungen zu touristischen Zwecken an.
Das Landgericht erließ ein Grund- und Teilurteil, demzufolge die Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den aus der erneuten Schließung des versicherten Betriebes entstandenen Schaden zu ersetzen (BeckRS 2021, 36651). Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Zahlungsklage insgesamt abgewiesen und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen (BeckRS 2021, 36650). Hiergegen richten sich die Revisionen beider Parteien.
Der BGH hat jetzt die Revision beider Parteien zurückgewiesen und hierzu klargestellt: Verweisen Versicherungsbedingungen nur auf im IfSG genannte Krankheiten, beschränkt sich das Leistungsversprechen nicht auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses.