Das "Shell-Urteil" - Handlungsbedarf auch für den Mittelstand

Die Gefahren des Klimawandels rücken immer stärker in das Bewusstsein. Damit stehen auch die Unternehmen in der Verantwortung. Gerichte weisen Ansprüche nicht mehr wegen fehlender Verursachung von Klimaschäden durch einen einzelnen Emittenten von Schadstoffen ab. Im folgenden Beitrag bespricht Kunz-Partner Dr. Hermann Knott  zwei spektakuläre aktuelle Gerichtsentscheidungen .


A. Worum geht es? Die Risiken für Unternehmen

Wir alle wissen um die dramatischen Folgen des Klimawandels. Aber hat der Klimawandel, sprich die Erderwärmung aufgrund menschlicher Eingriffe, eingetretene oder drohende Schäden einzelner oder Gruppen Betroffener mit gleichen Interessen mit verursacht? Wenn ja, drohen zunächst den Groß-Emittenten Schadensersatz- und ähnliche Ansprüche. Für kleinere und mittelgroße Unternehmen (KMUs) ergeben sich aber ebenfalls konkrete Risiken: Auf der Grundlage der ursächlichen Verknüpfung von Erderwärmung und Emissionen von Unternehmen wird sich der Gesetzgeber berechtigt sehen, eine Haftung von Unternehmen vorzusehen, wenn sie Zieldaten für den Abbau von Emissionen nicht erreichen. Vorbeugende Maßnahmen und Erfüllung regulatorischer Auflagen sind also für die Gestaltung der Zukunft unternehmerischen Handels von zentraler Bedeutung. Hiermit kann man nicht früh genug beginnen.

Nachfolgend sollen zwei spektakuläre Entscheidungen besprochen werden, die den Trend zur haftungsrechtlichen Verantwortung von Unternehmen für Schäden aufgrund der Emission von Treibhausgasen bejahen. Der erste Fall betrifft die Pflicht zur Verringerung von Emissionen, der zweite die Haftung selbst.
 

B. Verurteilung von Shell, die eigenen Emissionsziele zu erhöhen

1. Die Auswirkungen des Urteils

Ende Mai hat das Landgericht Den Haag Shell zur Festlegung weiter reichender Unternehmensziele zur Verringerung der Emission von Treibhausgasen verurteilt. Die bisher angestrebten Eckdaten seien unzureichend und unklar formuliert. Dies ist eine der ersten Gerichtsentscheidungen, die einem Unternehmen vorbeugende Maßnahmen zum Klimaschutz auferlegt. Die Auswirkungen dieses Urteils auch auf mittelständische Unternehmen sind enorm: Es wird damit die ursächliche Verknüpfung von menschlichem Eingriff und Erderwärmung im Grundsatz bejaht. Zu diesem Ergebnis haben vor allem die im IPCC (Weltklimarat)-Sonderbericht aus dem Jahre 2018 über Klimawandel und Landsysteme dargestellten Resultate wissenschaftlicher Untersuchungen beigetragen. Aus dieser Grundlage lässt sich die Verantwortung von Emissionen verursachenden Unternehmen für klimaschädliche Maßnahmen wesentlich leichter begründen: Bei Großunternehmen kommt eine unmittelbare Verantwortung in Betracht, bei kleineren und mittleren über die Umsetzung der z.B. für Deutschland im von der Bundesregierung verabschiedeten Klimaschutzgesetz festgelegten Obergrenzen für Emissionen. Bisher spüren die Unternehmen den Klimaschutz im Wesentlichen über Preissteigerungen für fossile Energien und von Co2-Zertifikaten. Künftig müssen auch KMUs mit Strafzahlungen und Schadensersatzansprüchen rechnen.  


2. Die Entscheidung des Landgerichts Den Haag

Die Verantwortung für Klimaschutz wird gemeinhin in erster Linie Internationalen Organisationen und den staatlichen Institutionen zugeordnet. Mitte Dezember 2020 hat die EU die Zielgröße zur Verringerung der Emission von Treibhausgasen bis 2030 von 40% auf 55% bezogen auf das Niveau von 1990 erhöht. Mittelbar leisten Unternehmen und Bürger durch die Umstellung ihrer Verhaltensweisen bzw. die Zahlung höherer Preise für Energie ihren Beitrag. Diese Mittel können dann als Investitionen in klimafreundliche Produkte und Lösungen (etwa Elektroauto oder erneuerbare Energiequellen) fließen.

Noch viel direkter betroffen von Maßnahmen zum Klimaschutz sind die großen multinationalen Energie-Unternehmen. Ihre eigenen zusammen mit den Emissionen ihrer Lieferanten (z.B. von Strom) und  Kunden (bei Shell z.B. die Verbraucher an der Tankstelle) werden zur Gänze dem Unternehmen zugerechnet, und zwar als sog. Scope 1, 2 und 3-Emissionen. Der größte Teil der Emissionen, für Shell ca. 85%, stammt aus dem Verbrauch der Kunden, die an den Zapfsäulen Benzin kaufen. Dementsprechend besteht auch der größte Handlungsbedarf für Unternehmen, die in der Exploration sowie der Verarbeitung fossiler Energieträger tätig sind.

In deren Unternehmensrichtlinien niedergelegte Klimaziele werden in besonderem Maße nachverfolgt. Das Landgericht Den Haag (Hoge Raad, Urteil vom 26. Mai 2021, Az. C/09/57 1932/HA ZA 19-379 (englische Version)) hat Royal Dutch Shell dazu verurteilt, in ihren Unternehmenszielen die Werte zur Emission von Treibhausgasen stärker zu reduzieren und klarer zu fassen als bisher vorgesehen. Statt der von Shell sich selbst auferlegten Verringerung des Verunreinigung durch Treibhausgase um 20% bis 2030 müssen es 45% sein. Dabei ist die Bezugsgröße das Niveau von 2019. In diese Werte sind die Emissionen auf allen Stufen der Lieferkette einbezogen. Nur diese Werte erlauben es nach den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung, die Erderwärmung auf 1,5 Grad verglichen mit dem Niveau vor der Industrialisierung zu begrenzen.

Shell ist der neuntgrößte Emittent von Treibhausgasen in der Welt. Die von Shell verursachte Verunreinigung macht weltweit 1% aller Emissionen von Treibhausgasen aus. Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hatte 2019 den niederländischen Staat auf die Klage der Stiftung Urgenda hin dazu verurteilt, zum Klimaschutz eine Netto-Reduktion der Emission von Treibhausgasen von 25% bis Ende 2020 umzusetzen. Dies ist der Regierung nach den Statistiken auch weitgehend gelungen. Die Verurteilung erfolgte auf der Grundlage einer Unerlaubten Handlung der Regierung, also auf privatrechtlicher Basis. Dieselbe rechtliche Basis hat der Hoge Raad auch gegenüber Shell bejaht: Nach dem Recht der Niederlande liegt eine Unerlaubte Handlung u.a. dann vor, wenn eine ‚ungeschriebene Regelung betreffend das angemessene Sozialverhalten‘ verletzt wird. Einen Verstoß gegen diese Regelung leitet das Gericht aus der fehlenden Beachtung von  Art. 2 (Recht auf Leben) und 8 (Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art. 7 und 17 des Internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) ab. Diese Vorschriften sollen wegen der im Vergleich zu den o.g. Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung unzureichenden Maßnahmen von Shell zur Reduktion der Emission von Treibhausgasen zulasten der von den klagenden Verbänden vertretenen Bewohner der Niederlande verletzt sein.

Das Gericht sieht die Shell auferlegten klimaschützenden Maßnahmen weder als zu belastend noch als unverhältnismäßig an. Effektiver Klimaschutz überwiege Shells kommerzielle Interessen. Werden die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Umsetzung des Klimaschutzes erforderlichen Initiativen nicht durchgeführt, so seien die Folgen unabsehbar. Auch ein weiterer Einwand fand beim Gericht kein Gehör: Das Gericht ließ die Verfolgung der Ansprüche als Sammelklage nur durch solche Verbände zu, die Interessen von in den Niederlanden ansässigen Personen vertreten. Müssen dann zum Schutz dieser Gruppe wirklich alle Shell weltweit (ca. 160 Länder) zuzurechnenden Emissionen berücksichtigt werden? Der Hoge Raad meint ‚ja‘, weil der Klimaschutz nur global wirksam umgesetzt werden kann.  


3. Reaktionen von Shell

Die Entscheidung ist von politischer Bedeutung. Eine Berufung auf juristischer Grundlage -  so berechtigt sie sein mag - würde Shell als Gegner des Klimaschutzes darstellen. Dementsprechend hat Shell auch reagiert und verlauten lassen, die Entscheidung bedeute ‚keine Änderung, sondern eine Beschleunigung‘ der eigenen Strategie zum Klimawandel. Der Verkauf fossiler Energien könne nicht über Nacht abgebaut werden. Daher setzt Shell auch auf eine Verringerung der Co2-Intensität seiner Produkte.

Für den beratenden Anwalt zeigen diese Umstände, wie wichtig es ist, die Ziele aller betroffenen Interessengruppen in das Beratungsergebnis mit einzubeziehen, sei es bei klimabezogenen Rechtstreitigkeiten oder in anderem Zusammenhang. . 

 

C. Peruanischer Bergführer verklagt RWE, den größten Emittenten von Treibhausgasen in Europa

Für die Haftung nach deutschem Recht sind vor allem Vorschriften in Spezialgesetzen zu beachten, wie das Bundesimmissionsschutzgesetz und das Wasserhaushaltsgesetz. Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang die Störung des Eigentums ein wichtiger Grund zur Haftung von Unternehmen. Diese Haftung setzt kein Verschulden des Störers voraus. Sie ist die Grundlage der Klage des peruanischen Bergführers namens Saúl Luciano Lliuya gegen RWE. Die Klage wird unterstützt von Umweltschutzorganisationen. Dieser ist Eigentümer eines Hauses im Ort Huaraz, dem Tor zur Cordillera Blanca. Oberhalb des Ortes liegt der Gletschersee Palcacocha. In diesen fließt das Schmelzwasser des Gletschers Palcaraju. Der Wasserstand dieser Lagune hat sich insbesondere seit 2003 infolge des starken Anstiegs der Gletscherschmelze rapide erhöht.  Das deutlich erhöhte Volumen des Schmelzwassers bringt die Gefahr eines Bruchs der Umrandung des Gletschersees mit sich. Diese in der Forschung mit dem Kürzel GLOF (Glacier Lake Outburst Flooding) bezeichnete Gefahr würde das Haus auf dem Grundstück des Bergführers zerstören. Lliuya verlangt von RWE die Zahlung von EUR 17.000. Dies ist derjenige Teilbetrag der Gesamtkosten zur Absicherung des Gletschersees, der dem Anteil von 0,47% der Emissionen von RWE am weltweiten Gesamtvolumen entspricht.

Das Landgericht Essen hatte die Klage mangels Kausalität der Emissionen von RWE in klassischer juristischer Methodik als unschlüssig abgewiesen: Das Haus ist auch dann gefährdet, wenn man sich die Emissionen von RWE wegdenkt. Das Oberlandesgericht Hamm hält die Klage aufgrund des behaupteten Verursachungsbeitrags von RWE für schlüssig. Im November 2017 hat es einen Beschluss erlassen, nach dem Beweis zum Entstehen einer höheren Dichte von Treibhausgasen durch Co2-Emissionen wie diejenigen von RWE sowie zu der dadurch entstehenden Verringerung der Wärmeabstrahlung durch Gutachten von Sachverständigen erhoben werden soll. Des Weiteren erstreckt sich die Beweiserhebung auf die Auswirkungen dieser globalen Phänomene auf die Verhältnisse am Gletscher Palcaraju. Auf den ersten Blick erscheint es schwer, den Nachweis zu diesen Beweisthemen zu führen. Dies gilt vor allem für die beiden auf die globalen Klimaverhältnisse bezogenen Fragen. In diesen Bereichen hat die Forschung allerdings seit dem Beweisbeschluss wichtige neue Erkenntnisse erzielt. Insoweit ist insbesondere auf den o.g. Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) aus 2018 zu verweisen.  Diese Ergebnisse dürften in künftigen Verfahren die Durchsetzung von Ansprüchen, die auf dem Klimawandel beruhen, deutlich erleichtern.

 

D. Tendenzen in der Rechtsprechung der US-Gerichte

Die USA sind bekannt für die hohen Haftungsrisiken für Unternehmen. Ausführungen zu Streitigkeiten mit Bezug zum Klimawandel sollten also auch die Rechtslage mit einbeziehen, die exportorientierte Unternehmen in den USA antreffen. Insoweit gibt es in der Rechtsprechung Tendenzen, Beweiserleichterungen für den Nachweis der Verursachung von Schäden zuzulassen, die auf dem Klimawandel bzw. seitens der Industrie zu dessen Abwehr unterlassenen Maßnahmen beruhen. Kläger sind derzeit in erster Linie Gemeinden und öffentliche Verbände, die gegen Industrieunternehmen mit hohem Ausstoß an Treibhausgasen Ansprüche verfolgen. Konsumentenklagen, etwa wegen der Werbung für den Verbrauch fossiler Energien (wie im Fall der Klagen wegen des Tabakverbrauchs),  stehen (noch) nicht im Fokus.

 

E. Was ist zu tun?

Klimaschutz hat längst seinen Weg in die Führungsetagen der Unternehmen aller Größen und Branchen gefunden. Bei ExxonMobile hat sich kürzlich ein als aktiver Aktionär (shareholder activist) tätiger Hedge Fund trotz Kleinstbeteiligung am Unternehmen drei Sitze im zwölfköpfigen Board of Directors gesichert. In der Hauptversammlung von Chevron stimmten die Aktionäre für eine starke Verringerung der scope-3 Emissionen. Die Umstellung auf die Versorgung mit erneuerbaren Energien, umweltschonende Unternehmensabläufe und Abfallentsorgungs- und -verwertungssysteme sowie Bau bzw. Renovierung von Immobilien nach green building engineering-Konzepten sind wichtige Bestandteile einer Unternehmensführung nach Maßgabe von ESG-bezogenen Grundsätzen der Unternehmensführung. Diese berücksichtigen umweltbezogene und soziale Maßstäbe im Rahmen der Führung der Geschäfte des Unternehmens. Außerdem kommt es infolge der Energiewende und des Booms umweltbezogener Technologien zu zahlreichen Transaktionen in Bezug auf Anlagen oder ganze Unternehmen. Rechtstreitigkeiten mit voraussichtlich hohen Streitwerten laufen schon bzw. lassen sich absehen.  

Kunz Rechtsanwälte steht Ihnen mit seinen erfahrenen Spezialisten aus der Kompetenzgruppe ‚"Umwelt, Klima und Energie" jederzeit und in allen für Sie relevanten Fragen gerne zur Verfügung. Die Expertise in diesem Team und in Kooperation mit Anwälten/innen aus anderen Fachgruppen ist umfassend. Sie reicht von der Beratung im Rahmen der Projektplanung über öffentlich-rechtliche Fragestellungen (Vergabe, Genehmigungen, Verbote) und projektbezogene Vertragsgestaltung bis hin zu umfassender Betreuung bei M&A-Transaktionen oder Joint Ventures (Due Diligence, Strukturierung und Verträge) und der Führung von Verfahren vor öffentlichen Stellen, ordentlichen oder Schiedsgerichten.


Köln, 11. Juni 2021

 

Dr. Hermann Knott, LL.M (UPenn)
Rechtsanwalt, Attorney-at-Law (New York), Partner
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