I. Einleitung
1.
Der Bundestag hat am 17.11.2023 das Wärmeplanungsgesetz (WPG) beschlossen. Das Gesetz ergänzt die bereits am 08.09.2023 beschlossene Novellierung des Gesetzes zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden (GEG). Beide Gesetze sind am 01.01.2024 in Kraft getreten.
Ziel des WPG ist die Schaffung von Grundlagen für die Einführung einer flächendeckenden Wärmeplanung in Deutschland. Nach § 1 des WPG soll dadurch ein wesentlicher Beitrag zur Wärmewende und „zu einer kosteneffizienten, nachhaltigen, sparsamen, bezahlbaren, resilienten sowie treibhausneutralen Wärmeversorgung bis spätestens 2045 (Zieljahr)“ geleistet werden.
Nach § 2 Abs. 2 WPG „sollen Wärmenetze zur Vereinheitlichung einer möglichst kosteneffizienten klimaneutralen Wärmeversorgung ausgebaut werden und die Anzahl der Gebäude, die an ein Wärmenetz angeschlossen sind, soll signifikant gesteigert werden“.
Stand 2023 beträgt die Anschlussquote für Wohngebäude, die Fernwärme nutzen, im Bundesdurchschnitt 6,0 %, in Flächenländern wie Rheinland-Pfalz 2,6 %.
Ob und unter welchen Voraussetzungen die für die Wirtschaftlichkeit eines Wärmenetzes erforderliche Anschluss- und Benutzungsdichte über das Instrument eines Anschluss- und Benutzungszwangs erreicht werden kann, soll im nachfolgenden Beitrag von Rechtsanwalt David Frisch und Prof. Dr. Karl Keilen beleuchtet werden.
Daraus wird vor allem ersichtlich, dass die Wärmewende eine große Herausforderung für den Bund, die Länder und die Kommunen ist. Insbesondere die Kommunen sind mit erheblichen Problemen rechtlicher und tatsächlicher Art konfrontiert.
2.
Mit der kommunalen Wärmeplanung soll ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele im Wärmebereich geleistet werden. Um die Ziele der Wärmeplanung umzusetzen, können Kommunen in ihren Wärmeplänen den Ausbau von Nah- und Fernwärmenetzen vorsehen. Erforderlich ist insofern die Fokussierung auf den Gebäudebestand.
Die Kommunen und/oder ein von ihr beauftragter Dritter werden ein Wärmenetz allerdings nur errichten und betreiben, wenn die Wärmequelle nachhaltig ist und sich der Betrieb des Wärmenetzes für den Versorger als wirtschaftlich darstellt.
Hierfür ist vor allem Voraussetzung, dass möglichst viele Wärmeabnehmer angeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund wird ein Anschluss- und Benutzungszwang von vielen „Akteuren“ als wichtiges Instrument für die Realisierung von Wärmenetzen angesehen.
Die Grundlagen der Wärmeplanung und auch die Möglichkeit, den Anschluss an Wärmenetze durch einen Anschluss- und Benutzungszwang (ABZ) zu regeln, haben wir in unserem „Newsletter November 2023 Wärmeplanung“ vom 23.11.2023 bereits aufgegriffen. Diesen finden Sie auf unserer Homepage unter www.kunzrechtsanwaelte.de/aktuelles/broschueren-und-newsletter-download/newsletter
Weiter verweisen wir auf unseren „Praxisleitfaden zur Nahwärmeversorgung“, den Sie ebenfalls unter www.kunzrechtsanwaelte.de/aktuelles/broschueren-und-newsletter-download/newsletter finden.
Mit den nachfolgenden Ausführungen soll das Instrument des Anschluss- und Benutzungszwangs näher dargestellt und insbesondere auf rechtlich und tatsächlich relevante Probleme eingegangen werden. Dabei wird zwischen Bestandsgebieten und Neubaugebieten differenziert.
II. Gesetzliche Regelungen des Anschluss- und Benutzungszwangs
Ein öffentlich-rechtlicher ABZ könnte die erforderliche Abnahme/-Wärmedichte für Nah- oder Fernwärmekonzepte gewährleisten. Für die verbindliche Festsetzung eines ABZ im Rahmen einer öffentlich- rechtlichen Wärmversorgung bedarf es einer unmittelbaren gesetzlichen Regelung oder einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer kommunalen Satzung.
1. ABZ und Gebäudeenergiegesetz (nachfolgend GEG)
Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) schreibt in den §§ 71 ff. lediglich die insb. vom Gebäudeeigentümer/Wohnungseigentümer zu beachtenden Anforderungen an Heizungsanlagen etc. vor.
Das GEG enthält keine Ermächtigungsgrundlage für einen Anschluss- und Benutzungszwang. Es nimmt aber auf die Möglichkeit, einen ABZ vorzusehen, Bezug.
§ 109 GEG lautet:
Anschluss- und Benutzungszwang
Die Gemeinden und Gemeindeverbände können von einer Bestimmung nach Landesrecht, die sie zur Begründung eines Anschluss- und Benutzungszwangs an ein Netz der öffentlichen Fernwärme- oder Fernkälteversorgung ermächtigt, auch zum Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes Gebrauch machen.
Es bedarf somit einer Bestimmung nach Landesrecht.
2. ABZ und Wärmeplanungsgesetz (nachfolgend WPG)
Der ABZ wird auch im Wärmeplanungsgesetz (WPG) erwähnt.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 WPG bedarf es einer rechtlich eigenständigen Entscheidung der Kommune über die Ausweisung von Wärmenetzgebieten.
Im Zusammenhang mit dieser Entscheidung wird unter Ziff. IV in Anlage 2 des Wärmeplanungsgesetzes auf ggf. bereits bestehende ABZ verwiesen. Dort heißt es:
„Gebiete oder Straßenabschnitte, für die auf Grundlage einer bestehenden Satzung ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht und somit eine Wärmeversorgung über individuelle, dezentrale Heizungsanlagen nicht oder nur ausnahmsweise zulässig ist, werden zu Informationszwecken in der kartografischen Darstellung ausgewiesen. Die Bestimmungen der Satzung gehen diesen Darstellungen im Wärmeplan insoweit vor.“
Das WPG enthält jedoch keine Verpflichtung für einen ABZ als Instrument zum Aufbau einer Fernwärme-/Nahwärmeversorgung.
Dies entspricht dem Grundsatz des WPG, wonach der von der Kommune erstellte Wärmeplan keine rechtliche Außenwirkung hat und keine einklagbaren Rechte oder Pflichten begründet. Demzufolge ergibt sich aus dem WPG keine eigenständige Verpflichtung des Gebäude-/Grundstückseigentümers, eine von einer Kommune zur Verfügung gestellte zentrale Einrichtung zur Versorgung mit Wärme zu nutzen. Jedem Gebäudeeigentümer/Grundstückseigentümer steht es also frei, sich bei Einhaltung der GEG-Anforderungen individuell mit Wärme zu versorgen.
Beachte:
Bei der Wärmeplanung im Sinne des WPG handelt es sich um eine strategische Fachplanung, die den Kommunen Möglichkeiten für den Ausbau von Wärmenetzen und die Dekarbonisierung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung aufzeigt. Zudem ergibt sich aus § 18 Abs. 2 S. 2 WPG, dass aus der Einteilung in ein voraussichtliches Wärmeversorgungsgebiet keine Pflicht entsteht, eine bestimmte Wärmeversorgungsart tatsächlich zu nutzen oder bereitzustellen.
3. ABZ und Gemeindeordnungen der Länder
Die Gemeindeordnungen der Länder enthalten die rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung eines Anschluss- und Benutzungszwangs. Soweit für bestimmte Gebiete in den Kommunen bereits ein ABZ besteht, hat der Wärmeplan keinen Einfluss auf die bestehende Satzung.
Das Recht der Gemeinden, einen Anschluss- und Benutzungszwang zu erlassen, ergibt sich aus Art. 28 Abs. 2 GG, Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft selbständig zu regeln. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat den ABZ als ein im Kommunalrecht seit langem eingeführtes Rechtsinstitut, dessen Konturen von der Rechtsprechung herausgearbeitet wurden, anerkannt.
Voraussetzung ist, dass die Kommune eine öffentliche Einrichtung im kommunalrechtlichen Sinne schafft. Der Wärmeplan nach dem WPG allein kann sui generis keinen ABZ begründen.
III. Anschluss- und Benutzungszwang in RLP
Um einen Anschluss- und Benutzungszwang mittels einer Satzung in Rheinland-Pfalz umzusetzen, müssen die Voraussetzungen von § 26 GemO RLP erfüllt sein.
26 GemO RLP lautet:
- Die Gemeinden können bei öffentlichem Bedürfnis durch Satzung für Grundstücke ihres Gebiets den Anschluss an Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Fernheizung, von Heizungsanlagen an bestimmte Energieversorgungseinrichtungen sowie den Anschluss an andere dem Gemeinwohl dienende Einrichtungen vorschreiben (Anschlusszwang). Sie können durch Satzung bei öffentlichem Bedürfnis auch die Benutzung dieser und anderer dem Gemeinwohl dienender Einrichtungen vorschreiben (Benutzungszwang).
- Die Satzung kann Ausnahmen vom Anschluss- und Benutzungszwang zulassen; sie kann den Anschluss- und Benutzungszwang auf bestimmte Teile des Gemeindegebiets und auf bestimmte Gruppen von Grundstücken oder Personen beschränken.
§ 26 GemO bildet die Grundlage dafür, dass entweder die Kommune selbst oder ein konzessionierter Wärmeversorger ein Wärmenetz errichtet und sich über die Wärmeentgelte der belieferten Kunden refinanziert. Entscheidet sich die Kommune für den Aufbau eines Wärmenetzes, muss sie selbst oder der konzessionierte Versorger das (wirtschaftliche) Betriebsrisiko tragen.
Zudem sind weitere kommunalrechtliche/haushaltsrechtliche Bestimmungen, auf die hier nicht eingegangen wird, zu beachten.
Nachfolgend werden einige wesentliche Voraussetzungen für den Erlass eines ABZ dargestellt:
a) Öffentliches Bedürfnis
Für den Aufbau eines Fernwärmenetzes ist ein öffentliches Bedürfnis erforderlich. Als öffentliches Bedürfnis gilt gem. § 109 GEG auch der Klima- und Ressourcenschutz. Dabei handelt es sich um eine bundesrechtliche Erweiterung der landesrechtlichen Befugnisse zur Anordnung eines ABZ (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.06.2016 – 10 CN 1/15 zu dem mittlerweile aufgehobenen § 16 EEWärmeG; vgl. auch Vollmer IR, 2016, 247).
b) Gemeinwohlbelang
Ein Anschluss- und Benutzungszwang ist nur zulässig, wenn er einem legitimen Gemeinwohlbelang dient, der die Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Grundstückseigentümer rechtfertigt. Dabei hat die Gemeinde folgende Gesichtspunkte abzuwägen:
- Gesundheitsschutz
Bisher wurden die meisten bereits bestehenden Fern-/Nahwärmesatzungen auch über den Gesundheitsschutz gerechtfertigt, da durch die Verlagerung von vielen einzelnen dezentralen Feuerungsanlagen auf eine zentrale Feuerungsanlage die lokalen Anforderungen erfüllt und die Schadstoffbelastung sinkt (jetzt geregelt in § 71 b GEG). Dies gilt nach wie vor.
- Klimaschutz
Nach § 109 GEG können Kommunen von einem Anschluss- und Benutzungszwang zum Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes Gebrauch machen ungeachtet sonstiger gesetzlicher Anforderungen (z.B. aus dem GEG oder WPG).
- Wirtschaftlichkeit
Stets sollte eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vor allem durch einen Vergleich zwischen einer grundstücksbezogenen mit einer netzbezogenen Wärmeversorgung erfolgen, wie § 1 WPG in Verbindung mit § 14 WPG auf Ebene der Wärmeplanung bereits indiziert:
„Ziel des Gesetzes ist es, einen wesentlichen Beitrag zur Umstellung der Erzeugung……..auf erneuerbare Energien…….zu leisten, zu einer kosteneffizienten, nachhaltigen, sparsamen, bezahlbaren, resilienten sowie treibhausgasneutralen Wärmeversorgung ….beizutragen“.
Das heißt:
Die netzbezogene Wärmeversorgung muss sich sowohl für den Anschlussnehmer und Nutzer als auch für den Betreiber rechnen. Dabei ist zu unterstellen, dass sich ein Fern-/Nahwärmenetz nur rechnet, wenn ein hoher Anschlussgrad erreicht wird. Kann die Wirtschaftlichkeit durch eine hohe Anschlussdichte nicht bejaht werden, kann als Rechtfertigung des Anschluss- und Benutzungszwanges ein anderer Gemeinwohlbelang – in der Regel Klimaschutzerwägungen oder der Gesundheitsschutz – in der Abwägung nur herangezogen werden, wenn diese Ziele anders nicht erreicht werden können.
Ob dies im Einzelfall zutreffen kann, sollte unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Wärmeplanung für das beplante Gemeindegebiet geprüft werden.
Beachte:
Kommunen als Bauherrn/Betreiber von Wärmenetzen unterliegen stringenten kommunalrechtlichen Vorgaben! Auch bei kommunaler Trägerschaft gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot (jedoch mit dem Unterschied, dass gegenüber privaten Betreibern Kostendeckung ausreicht und Gewinne nicht zwingend anfallen müssen).
3. Verhältnismäßigkeit
Ein Anschluss- und Benutzungszwang muss verhältnismäßig (= erforderlich und geeignet sein) ausgestaltet werden.
- Erforderlichkeit
Der Anschluss- und Benutzungszwang ist nur verhältnismäßig, wenn er auch erforderlich ist, um den Satzungszweck (siehe II. 1.) zu erreichen. Erforderlichkeit für den Anschluss an ein Wärmenetz besteht, wenn es kein gleich geeignetes milderes Mittel gibt, den angestrebten Zweck zu erreichen. Wenn z. B. auf einzelnen Grundstücken im Planungsgebiet bereits Wärmepumpen betrieben werden, sind die einzigen Emissionen, die von den ansonsten nicht emittierenden Wärmepumpen ausgehen, ggf. indirekte Emissionen der Stromversorgung, und dies auch nur, falls die Wärmepumpen nicht mit eigenem Solarstrom betrieben werden. Es sind daher kaum Fälle denkbar, in denen Fernwärme weniger Emissionen als z.B. individuelle Wärmepumpen verursacht.
- Geeignetheit:
Bei der Geeignetheit ist zwischen Neubaugebieten und Bestandsgebieten zu differenzieren, weil ein ABZ nach Expertenmeinung in der Regel nur wirtschaftlich betrieben werden kann, wenn ungeachtet anderer zu prüfender Voraussetzungen eine Anschlussdichte von mindestens 70 % erreicht werden kann.
In Neubaugebieten dürfte die Geeignetheit grundsätzlich zu bejahen sein, wenn die gesetzlichen Vorgaben für die Klimaneutralität des Wärmenetzes beachtet werden.
Anders dürfte es in Bestandsgebieten aussehen, wenn sich Grundstückseigentümer bereits eine eigene regenerative Wärmequelle geschaffen haben.
Ein Anschluss- und Benutzungszwang müsste auch bei Einbeziehung vorhandener Wärmepumpen den verfolgten Zweck mindestens fördern. Ob ein Anschluss- und Benutzungszwang an ein öffentliches Fernwärmenetz auch Eigentümer von Gebäuden erfassen kann, die z.B. bereits mittels Wärmepumpen versorgt werden, könnte unter Berücksichtigung der unter III. 1.- 3. genannten Voraussetzungen bejaht werden, wenn die öffentliche Fernwärmeversorgung emissionsärmer wäre als die Versorgung durch die Wärmepumpe.
Solche Fälle wären nur denkbar, wenn das Fernwärmenetz zu 100% regenerativ betrieben wird, die individuelle Wärmepumpe aber mit einem allgemeinen Strommix versorgt wird, der je nach Versorger derzeit nur bei einem Anteil von ca. 50% erneuerbarer Energien liegt. Dabei wäre dann auch zu berücksichtigen, dass bei beim Stromhandel RECS- (Herkunfts-)Zertifikate ermöglichen, konventionellen Strom als Ökostrom zu vermarkten. Es dürfte kaum begründbar sein, den Nutzer einer ggf. sogar staatlich geförderten Wärmepumpe mittels ABZ zur Nutzung eines Wärmenetzes zu verpflichten. Eine Fernwärmesatzung, die z.B. keine Ausnahme für bestehende Wärmepumpen enthält, dürfte einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten.
4. Ausnahmen /Befreiungen
- Ausnahmen
Das Gesetz spricht in § 26 Abs. 2 GemO RLP von Ausnahmen, die in der Satzung von vorneherein festgelegt werden und aus der Satzung selbst hervorgehen müssen. Liegen die Voraussetzungen der in der Satzung definierten Ausnahme vor, ist der davon Betroffene automatisch vom Regelungsgehalt der Satzung ausgenommen.
- Befreiungen
Neben der Regelung genereller Ausnahmen hat die Rechtsprechung in mehreren Entscheidungen dem Satzungsgeber Möglichkeiten eingeräumt, Einzelfallgerechtigkeit durch Befreiungen herbeizuführen. Funktionalität und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Wärmeversorgung dürfen aber nicht durch ausufernde Befreiungstatbestände gefährdet werden. Deshalb ist eine Befreiung nur dann zwingend geboten, wenn
- eine „Einzellösung“ ökologisch vergleichbar oder noch wertvoller, d.h. umweltfreundlicher ist als die Versorgung durch eine zentrale öffentliche Einrichtung und
- die alternative Wärmeerzeugungsquelle wirtschaftlich günstiger ist.
Im Gegensatz zu in der Satzung vorgesehenen Ausnahmen müssen Befreiungen, weil sie einzelfallbezogen sind, beantragt werden.
Nach den §§ 3 und 35 der AVBFernwärmeV, die sowohl im privatrechtlichen Bereich als auch bei öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen gelten, ist es auch erforderlich, eine Befreiung für die nachträgliche Nutzung regenerativer Energiequellen durch bereits angeschlossene Grundstücke vorzusehen; andernfalls würde der ABZ die Grundrechte unzulässig einschränken (OVG Weimar, Urt. v. 24.09.2007 – 4 N 70/03; vgl. auch VG Göttingen, Beschl. v. 28.07.2020 – 3 B 152/20 Vollmer, IR 2016, 247, 249). Der ABZ kann demnach einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die freie Nutzung des Eigentums am zu beheizenden Haus (Vollmer aaO) darstellen.
Nach den Anforderungen der Rechtsprechung ist schon bei der Festsetzung von Befreiungstatbeständen zu berücksichtigen, dass der ABZ dem Betroffenen „wirtschaftlich zumutbar“ sein muss. Was konkret „wirtschaftliche Zumutbarkeit“ bedeutet, hat die Rechtsprechung bisher nicht definiert. Eine Grenze soll aber z.B. erreicht sein, wenn die Anschlusskosten in Bezug zum Grundstückswert unverhältnismäßig hoch sind (OVG Magdeburg Beschl. v. 08.10.2018 – 4 L 139/18; so auch OVG Münster, Beschl. v. 20.08.2018 – 15 A 2230/17).
Beachte:
Es bedarf stets einer Gesamtabwägung der Interessen des Anschluss- und Benutzungspflichtigen mit den Interessen der Kommune/ des Betreibers im Einzelfall!
5. Anpassungsbedarf bei bereits bestehenden Satzungen mit ABZ im Bestand
Liegt das Grundstück in einem Gebiet, für das bereits ein Wärmenetz besteht und ein ABZ die Eigentümer zur Nutzung verpflichtet, sollte die Satzung überprüft und ggfs. Ausnahme-/und Befreiungstatbestände unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze für Eigentümer, die eine Eigenversorgung anstreben, aufgenommen werden. Die Gemeinde muss den Eigentümern Befreiungstatbestände einräumen, sofern dies dem Zweck des bestehenden Anschluss- und Benutzungszwangs nicht entgegensteht und es ihr wirtschaftlich zumutbar ist.
Den berechtigten Interessen der Gemeinde (wirtschaftlicher Betrieb nur bei ausreichender Wärmedichte), die nach Expertenmeinung eine erforderliche Anschlussdichte von mindestens 70 % voraussetzt, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Satzungsbestimmung Ablehnungsgründe für Befreiungsanträge vorsehen kann, wenn die Befreiung der Gemeinde wirtschaftlich nicht zumutbar ist (OVG Weimar, Urt. v. 24.09. 2007 – 4 N 70/03 –, Rn. 51; VG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 16.06.2021 – 1 K 5140/18 –, Rn. 52).
Beachte:
Es bedarf auch insofern einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung der Interessen der Kommune/des Betreibers mit den Interessen des die Befreiung begehrenden Eigentümers.
IV. Fazit
1. Neubaugebiete
Ein Anschluss- und Benutzungszwang ist für Neubaugebiete, in denen eine regenerative und wirtschaftliche Wärmeversorgung geplant ist, unter Beachtung vorgenannter Satzungshinweise möglich. Neubaugebiete dürften aber im Zusammenhang mit dem Aufbau von Wärmenetzen kaum eine Rolle spielen.
In Neubaugebieten macht ein Wärmenetz meist keinen Sinn, da Häuser, die nach KfW-Standard 40 oder 55 gebaut werden, oft über Wärmepumpen verfügen und ein Anschluss an Fern- oder Nahwärmenetze in der Regel nicht wirtschaftlicher ist als die individuelle Wärmeversorgung. Auch die Kommune kann kein Interesse an dem Aufbau eines unwirtschaftlichen Wärmenetzes haben.
2. Bestand
Das größte Potenzial für die Umsetzung der Wärmewende liegt im Bestand.
Im Gebäudebestand dürfte der ABZ an Nah- und Fernwärmenetze in der Regel kein rechtlich und politisch realisierbares Instrument sein, um einen wirtschaftlichen Betrieb zu erreichen. Aus den weiter oben dargelegten Gründen ist ein ABZ grundsätzlich nur unter Berücksichtigung von Ausnahmen und Befreiungstatbeständen rechtlich umsetzbar. Dies bedeutet für den Bestand, dass in der Regel Befreiungen greifen, wo Grundstückseigentümer bereits eigene Lösungen umgesetzt haben, die den gesetzlichen Anforderungen des GEG entsprechen. Politisch ist ein ABZ insbesondere auch deshalb schwer begründbar, weil er allenfalls dort gerechtfertigt sein kann, wo lokal nachhaltige und wirtschaftliche Wärmequellen zur Verfügung stehen, was nur in den seltenen Fällen gegeben sein dürfte. Zudem wird die 40 %ige BEW -Förderung höchstens in Einzelfällen ausreichen, um die Wirtschaftlichkeit eines Wärmenetzes zu erreichen.
Außerdem:
Ein ABZ dürfte allein schon aus politischen Gründen nur dann erfolgversprechend sein, wenn die kommunale Wärmeplanung im konkreten Fall einem belastbaren Kostenvergleich zugunsten der netzbezogenen gegenüber der gebäudebezogenen Wärmeversorgung enthält.
Wir zitieren aus der Stellungnahme zum Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Wärmeplanungsgesetz (WPGAG) - Referentenentwurf des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität – der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Rheinland-Pfalz vom 28.08.2024:
„Jeder potenzielle Betreiber wird eine solche Investition nur tätigen, wenn auch die Finanzierung der Einrichtung über die gesamte Laufzeit nachhaltig gesichert ist. Dies setzt bekanntlich ein Mindestmaß an Anschlussnehmern bzw. an Anschlussdichte voraus. Dies wiederum bedingt, dass die zentrale Versorgung im Ergebnis und auf lange Sicht mindestens so kostengünstig, besser: „bezahlbar" im Sinne des § 1 WPG ist, wie eine vergleichbare dezentrale Lösung.“
Diese grundsätzlichen Wirtschaftlichkeitsvoraussetzungen dürften nach diesseitiger Einschätzung im Flächenland Rheinland- Pfalz bei der überwiegenden Anzahl der Orts- oder Verbandsgemeinden nicht vorliegen.
Ihre Ansprechpartner bei Fragen zum Wärmeplanungsgesetz: