Die Regelungen zum Arbeitsrecht im Koalitionsvertrag

Der mit Spannung erwartete Koalitionsvertrag der wohl zukünftigen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP enthält im Bereich Arbeitsrecht keine größeren Überraschungen. Auf der einen Seite finden sich zwar wenig Ansatzpunkte für angedachte Reformen, auf der anderen Seite damit aber auch wenig gesellschaftlicher Sprengstoff wie er von einigen erwartet worden war.

KUNZ-Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht Marcus Menster stellt die wesentlichen Inhalte dar:

 

Arbeitszeitrecht

  • Am Grundsatz des 8-Stunden-Arbeitstages soll sich nichts ändern. Allerdings soll es eine Öffnungsklausel für Tarifverträge geben, die Arbeitszeit flexibler zu verteilen.
  • Ebenfalls soll für Kollektivvereinbarungen eine Abweichung von der derzeitigen Höchstarbeitszeit (8 Stunden durchschnittlich, höchstens 10 Stunden je Tag) ermöglicht werden, zumindest experimentell.
  • Die zuletzt infolge der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dokumentationspflicht aller Arbeitszeiten angezweifelte Vertrauensarbeitszeit soll grundsätzlich weiter möglich bleiben. Hier werden Anpassungen in den Raum gestellt, jedoch nicht konkretisiert.

 

Mobile Arbeit

  • Mobiles Arbeiten soll EU-weit möglich sein.
  • Hierzu soll der Anspruch auf Homeoffice auch losgelöst von der aktuellen pandemischen Lage weiter bestehen. Der Arbeitgeber soll hiergegen lediglich das Entgegensehen betrieblicher Belange einwenden können. Diese Formulierung entspricht derjenigen zum Teilzeitanspruch, aus der die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung eine hohe Hürde für den Arbeitgeber ableitet, den Wünschen der Arbeitnehmer nicht zu entsprechen. Im Nachsatz heißt es dann jedoch, dass die Ablehnung eines solchen Wunsches „nicht sachfremd oder willkürlich sein darf“. Dies deutet eher auf eine niedrigere Ablehnungshürde für den Arbeitgeber hin. Die uneinheitliche Formulierung verdeutlicht, dass die beteiligten Parteien unterschiedliche Strömungen haben. Eine Mindestanzahl an Homeofficetagen, wie sie jedenfalls vom bisherigen Bundesarbeitsminister Heil gefordert war, legt der Koalitionsvertrag nicht fest.
  • Im Gegenzug sollen Mobiles Arbeiten und Homeoffice offenbar insoweit erleichtert werden, als sie von der klassischen Telearbeit entkoppelt und künftig nicht mehr unter die Arbeitsstättenverordnung fallen sollen. Dies reduziert die organisatorischen Anforderungen an die Arbeitgeberpflichten erheblich und passt Homeoffice an die betriebliche Realität an. Zwischen den Zeilen ist zu entnehmen, dass der Arbeitgeber lediglich nur noch einen den strengen Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung genügenden Arbeitsplatz einrichten muss, als entweder im Betrieb oder – im Falle der vollen Telearbeit – beim Arbeitnehmer zu Hause.

 

Lohn und Gehalt

  • Der Mindestlohn von 12 EUR soll kommen, ein Termin ist nicht genannt.
  • Die Geringfügigkeitsgrenze soll auf 520 EUR angehoben werden, die Gleitzone auf 1.600 EUR. Für die Geringfügigkeitsgrenze soll es für Folgejahre eine automatische Koppelung an den Mindestlohn geben.
  • Es soll Tariftreueregelungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge geben. Viele Bundesländer sehen hier in ihrem Bereich bereits entsprechende zwingende Vorschriften vor, insbesondere im ÖPNV. Für letzteren findet sich im Abschnitt Verkehr und Mobilität folgender ergänzender Programmsatz: „Wir setzen uns für faire Arbeitsbedingungen im ÖPNV ein. Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe zu berücksichtigen.“
  • Die Möglichkeiten einer Tarifflucht durch Betriebsübergang oder Outsourcing sollen beschränkt werden, ohne dass hier konkrete Maßnahmen genannt sind.

 

Befristungsrecht

  • Zur sachgrundlosen Befristung enthält der Koalitionsvertrag keinerlei Aussage. Offenbar ist hier keine Einschränkung geplant. Damit bleibt der Koalitionsvertrag weit hinter den Vereinbarungen der vergangenen Koalition aus CDU/CSU und SPD zurück. Hier war eine Begrenzung der sachgrundlosen Befristung auf höchstens 18 Monate und nur noch einer Verlängerungsoption innerhalb dieser Gesamtlaufzeit fest vereinbart, aber nie umgesetzt worden. Seinerzeit hatte die SPD noch gefordert, die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung gänzlich abzuschaffen.
  • Hingegen sollen Befristungen mit Sachgrund eingeschränkt werden, indem hier eine grundsätzliche zeitliche Obergrenze von 6 Jahren mit wenigen Ausnahmen geregelt wird.

 

Leiharbeit und Abrufarbeit

  • Die Option von Leiharbeit und Arbeit auf Abruf soll grundsätzlich erhalten bleiben. Hier ist dem Vertrag keine konkrete Veränderung zu entnehmen.


Betriebsverfassung

  • Die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit soll weiter gefördert werden. Für die Betriebsräte soll ein Wahlrecht bestehen.
  • Ein Pilotprojekt für eine online-Betriebsratswahl wir geplant.
  • Gewerkschaften soll digitaler Zugang in die Betriebe gewährt werden.

 

Sonstiges

  • Der Gesundheitsschutz im Betrieb soll insbesondere im Hinblick auf psychische Belastungen und Mobbing ausgebaut werden. Das betriebliche Eingliederungsmanagements soll weiter gestärkt werden, auch wenn Einzelheiten hierzu unklar bleiben.
  • Die Vermeidung einer Unternehmensmitbestimmung über das Vehikel SE (sog. Einfriereffekt) soll zukünftig verhindert werden.
  • Das kirchliche Arbeitsrecht soll in verkündungsfernen Bereichen dem staatlichen Arbeitsrecht stärker angeglichen werden. Wie dies umgesetzt werden soll, bleibt offen. Offenbar sollen hier zunächst Gespräche mit den Kirchen stattfinden.

Insgesamt enthält der Koalitionsvertrag daher viele, teils gute Absichten, aber wenig konkrete Neuerungen. Teilweise bleiben die Abmachungen sogar unter denen der Vorgängerregierung zurück. Zum Arbeitsrecht gibt es also aus Berlin nichts Neues. Vielleicht spiegelt genau dies aber den Spagat des Koalitionsvertrages zwischen den programmatischen Linien von SPD und Grünen auf der einen Seite sowie der FDP auf der anderen Seite wider.


Wortlaut:

Im Wortlaut regelt der Koalitionsvertrag zum Arbeitsrecht folgendes:

 

Arbeitszeit und Arbeitsort

Um auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren und die Wünsche von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung aufzugreifen, wollen wir Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Wir halten am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz fest. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume). Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.

 

Homeoffice grenzen wir als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich von der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ab. Arbeitsschutz, gute Arbeitsbedingungen und das Vorhandensein eines betrieblichen Arbeitsplatzes sind bei mobiler Arbeit wichtige Voraussetzungen. Dies erfordert Information und Beratung der Beschäftigten sowie deren angemessene Unterstützung durch ihre Arbeitgeber. Zur gesunden Gestaltung des Homeoffice erarbeiten wir im Dialog mit allen Beteiligten sachgerechte und flexible Lösungen. Coworking-Spaces sind eine gute Möglichkeit für mobile Arbeit und die Stärkung ländlicher Regionen. Beschäftigte in geeigneten Tätigkeiten erhalten einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice. Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Für abweichende tarifvertragliche und betriebliche Regelungen muss Raum bleiben. Mobile Arbeit soll EU-weit unproblematisch möglich sein.

 

Mindestlohn

Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen. Im Anschluss daran wird die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden. Wir unterstützen den Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über angemessene armutsfeste Mindestlöhne zur Stärkung des Tarifsystems. Dabei setzen wir uns – unter Achtung der europäischen Kompetenzordnung sowie unterschiedlicher Systeme und Traditionen von Arbeitsbeziehungen in den Mitgliedstaaten – bei den Verhandlungen für verbindliche Mindeststandards ein, wie sie in Deutschland mit dem neuen Mindestlohngesetz nach Beschluss gelten werden.

 

Mini- und Midijobs

Bei den Mini- und Midi-Jobs werden wir Verbesserungen vornehmen: Hürden, die eine Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren, wollen wir abbauen. Wir erhöhen die Midi-JobGrenze auf 1.600 Euro. Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht. Gleichzeitig werden wir verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden. Die Einhaltung des geltenden Arbeitsrechts bei Mini-Jobs werden wir stärker kontrollieren.

 

Befristungen

Damit der öffentliche Dienst als Arbeitgeber mit gutem Beispiel vorangeht, schaffen wir die nur dort bestehende Möglichkeit der Haushaltsbefristung ab. Beim Bund als Arbeitgeber reduzieren wir die sachgrundlose Befristung Schritt für Schritt. Um Kettenbefristungen zu vermeiden, begrenzen wir mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre. Nur in eng begrenzten Ausnahmen ist ein Überschreiten dieser Höchstdauer möglich.

 

Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitskräftemobilität

Beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz prüfen wir im Falle einer europäischen Rechtsprechung, ob und welche gesetzlichen Änderungen unter Berücksichtigung der Gesetzesevaluierung vorzunehmen sind. Wir verbessern den Schutz von Beschäftigten bei grenzüberschreitenden Entsendungen und bauen bürokratische Hürden ab. Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag. Wir stärken „Faire Mobilität“ und klären Beschäftigte so besser über ihre Rechte auf. Wir ratifizieren das Übereinkommen Nr. 184 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft.

 

Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind notwendige Instrumente. Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz verhindern wir durch effektivere Rechtsdurchsetzung. So sorgen wir auch für mehr Sicherheit bei Arbeit auf Abruf. Die Krisenregelungen beim Kurzarbeitergeld werden wir nach der Corona-Pandemie evaluieren, insbesondere mit Blick auf Menschen mit geringem Einkommen.

 

Tarifautonomie

Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken, damit faire Löhne in Deutschland bezahlt werden – dies befördert auch die nötige Lohnangleichung zwischen Ost und West. Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht. Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht werden wir verhindern, indem wir die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sicherstellen. Unangetastet bleibt § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang). Im Dialog mit den Sozialpartnern werden wir weitere Schritte zur Stärkung der Tarifbindung erarbeiten und hierbei insbesondere Möglichkeiten für weitere Experimentierräume erörtern.

 

Mitbestimmung

Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten. Im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Maßstäbe werden wir Online-Betriebsratswahlen in einem Pilotprojekt erproben. Wir schaffen ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht. Die sozialökologische Transformation und die Digitalisierung kann nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirksam gestaltet werden. Hinsichtlich dieser Fragen werden wir das Betriebsrätemodernisierungsgesetz evaluieren. Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein. Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.

 

Deutschland nimmt bei der Unternehmensmitbestimmung eine weltweit bedeutende Stellung ein. Die bestehenden nationalen Regelungen werden wir bewahren. Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Wir werden die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt.

 

Arbeits- und Gesundheitsschutz

Den hohen Arbeits- und Gesundheitsschutz in der sich wandelnden Arbeitswelt erhalten wir und passen ihn neuen Herausforderungen an. Insbesondere der psychischen Gesundheit widmen wir uns intensiv und erarbeiten einen Mobbing-Report. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen unterstützen wir bei Prävention und Umsetzung des Arbeitsschutzes. Das betriebliche Eingliederungsmanagement stärken wir.

Marcus Menster
Partner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht