EuGH: Kein automatischer Verfall des Urlaubsanspruchs wegen nicht gestellten Urlaubsantrags

Entscheidungen des EuGH vom 06. November 2018, Az.: C -619/16,10 684/16

Verlust des nicht genommenen Jahresurlaubs und der finanziellen Vergütung, Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. November 2003

Der Europäische Gerichtshof hat zu zwei Vorabentscheidungsersuchen entschieden, einmal des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg und einmal des Bundesarbeitsgerichts.

Im Fall des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg ging es um einen Rechtsreferendar, der seinen juristischen Vorbereitungsdienst in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis, jedoch außerhalb des Beamtenverhältnisses, absolvierte. Das vorlegende Gericht hatte in der Vorlageentscheidung ausgeführt, die Vorschrift des Bundesurlaubsgesetzes, die eine solche finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub gewähre, sei auf den Kläger nicht anwendbar, daher könne dem Antrag des Klägers des Ausgangsverfahrens auf Gewährung einer solchen Vergütung nur stattgegeben werden, wenn sich ein entsprechender Anspruch für ihn unmittelbar aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG ergebe.

Der EuGH hat ausdrücklich nochmals betont, dass sich der Einzelne auf Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung in allen Fällen, in denen die Bestimmung einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat. Zudem kann der Einzelne, wenn er sich dem Staat gegenüber auf eine Richtlinie berufen kann, dies unabhängig davon tun, ob der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger handelt. In dem einen wie dem anderen Fall müsse nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen könne. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG erfülle die Kriterien der Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit und damit die für eine unmittelbare Wirkung erforderlichen Voraussetzungen. Wenn das anwendbare nationale Recht keine finanzielle Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses für Zeiten von Jahresurlaub vorsehe, die der Rechtsreferendar nicht genommen habe, so könne dies für sich allein kein Hindernis dafür darstellen, dass der Kläger des dortigen Verfahrens unmittelbar auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG eine solche Vergütung von seinem ehemaligen Arbeitgeber erhalte. Sofern er nachweislich die Anforderungen aus dieser Bestimmung erfülle, seien die nationalen Gerichte demnach verpflichtet, die nationalen Regelungen oder Gepflogenheiten unangewendet zu lassen, die der Gewährung einer solchen Vergütung entgegenstünden.

Der EuGH hat weiter entschieden, dass auch die Bestimmung des § 9 Erholungsurlaubsverordnung (EUrlVO), wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, einen Urlaubsantrag zu stellen, einen solchen Anspruch des ehemaligen Arbeitnehmers nicht hindert, wenn ein solcher Antrag nicht gestellt worden ist. Der EuGH hat insoweit bereits entschieden, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen dem Arbeitnehmer am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub gezahlt wird, wenn es ihm nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zustand, weil er sich zum Beispiel während des gesamten Bezugs- und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils davon im Krankheitsurlaub befand. Ferner hat der EuGH entschieden, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG nicht dahin ausgelegt werden kann, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und damit auch der Anspruch auf die von Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene finanzielle Vergütung durch den Tod des Arbeitnehmers untergehen könne.

Im vorliegenden Verfahren stellte sich die Frage ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG es ausschließt, dass der Anspruch  im Falle nicht genommenen Urlaub automatisch erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses keinen Antrag auf Wahrnehmung dieses Anspruchs gestellt hat. Im Ergebnis hat der EuGH sodann zur Vorlagefrage Folgendes entschieden:

Urlaub verfällt nicht automatisch, wenn er nicht beantragt wird.

Der Arbeitgeber muss seinen Arbeitnehmer in die Lage versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen.

Der Mitarbeiter kann jedoch aus freien Stücken auf seinen Urlaub verzichten. Dann kann und darf der Urlaub verfallen. In diesem Fall muss der Urlaub auch nicht ausgezahlt werden. Nachweisen muss jedoch auch das der Arbeitgeber.

Der EuGH hat gleichermaßen für das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts entschieden; in dieser Entscheidung ging es um § 7 BurlG, nach dem Urlaub beantragt werden muss, anderenfalls verfällt der Urlaub zum Ende des Bezugszeitraums.

 

Hinweis der Autorin: Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt diese nur für den in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG unionsrechtlich garantierten Mindesturlaub (20 Tage).