EuGH: "Widerrufsjoker für Verbraucherkreditverträge" Unwirksamkeit einer Widerrufsbelehrung


Mit einem bedeutsamen Urteil vom 26.03.2020 (Az.: C-66/19)  hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine weit verbreitete Widerrufsbelehrung in privaten Kreditverträgen für unvereinbar mit dem europäischen Recht und damit für unwirksam erklärt. Auch viele Jahre nach Vertragsschluss können sich demnach Kreditnehmer noch von entsprechenden Verträgen lösen (sogenanntes „ewiges“ Widerrufsrecht).

Die praktische Bedeutung für vergleichbare Verträge, die ab Juni 2010 abgeschlossen wurden, ist enorm. Betroffene Verbraucher, die zum Beispiel in der Vergangenheit zu vergleichsweise hohen Zinsen mit langjähriger Zinsbindung einen Finanzierungsvertrag geschlossen haben (z.B. eine klassische Baufinanzierung über ein Kreditinstitut oder eine Bausparkasse), können Verträge über einen Widerruf beenden, ohne dass die Bank/Sparkasse/Bausparkasse eine für die vorzeitige Beendigung normalerweise anfallende Vorfälligkeitsentschädigung berechnen kann. Anstelle der laufenden Finanzierung kann ein neuer Kredit zu den heute regelmäßig deutlich niedrigeren Zinsen abgeschlossen werden. Aber die in der Entscheidung des EuGH angestellten Erwägungen sind potentiell auch auf alle anderen privaten Kredit- und Leasingverträge übertragbar. So kommt beispielsweise auch die Lösung von sonstigen Kreditverträgen, Autokrediten oder KFZ-Leasingverträgen zu für den Verbraucher äußerst günstigen Rahmenbedingungen in Betracht.

Konkret hat der EuGH über einen Fall eines im Kalenderjahr 2012 mit der Kreissparkasse Saarlouis geschlossenen Kreditvertrages über 100.000 Euro mit einem bis zum 30.11.2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61% pro Jahr zu entscheiden gehabt. Im Kalenderjahr 2016 erklärte der Verbraucher den Widerruf des Vertrages mit der Behauptung, die Widerrufsbelehrung sei unwirksam, weswegen die darin gesetzte Widerrufsfrist von 14 Tagen niemals zu laufen begonnen habe. Dem EuGH war der Fall durch das Landgericht Saarbrücken vorgelegt worden mit der Frage, ob die von dem Kreditunternehmern verwendete Widerrufsbelehrung mit der europäischen Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (RL 2008/48/EG) vereinbar ist. Konkret lautete hierbei die Widerrufsbelehrung:

„Widerrufsrecht

Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E‑Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. …“

Entscheidend für die angenommene Unwirksamkeit der Belehrung ist der Umstand, dass die Belehrung ihrerseits auf Rechtsvorschriften verweist, die wiederum auf andere Rechtsvorschriften verweisen. Eine solche „Kaskadenverweisung“ erachtete der EuGH für unvereinbar mit der europäischen Verbraucherkreditrichtlinie. Die Richter am EuGH haben dazu klargestellt, dass Verbraucherkreditverträge in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben müssen. Andernfalls würde die Wirksamkeit des Widerrufsrechts ernsthaft geschwächt. Dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist, laufe der Richtlinie zuwider. Im Fall einer solchen Kaskadenverweisung könne der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags nämlich weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält.

Wie die rechtlichen Wertungen des EuGH auf den Einzelfall der Kreissparkasse Saarlouis zu übertragen sind, hat nun das Landgericht Saarbrücken zu entscheiden, das den Fall an den EuGH vorgelegt hatte. Auch über den Einzelfall hinaus erlangt die EuGH-Entscheidung aber eine herausragende Bedeutung für vergleichbare Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Kredit- und Leasinggebern, weil entsprechende Kaskadenverweisungen sehr verbreitet sind und deswegen einer Vielzahl von Verbrauchern die Grundlage für die Geltendmachung eines entsprechenden Widerrufsrechtes eröffnen.

 

Unser Kompetenzteam "Bank & Kapitalmarkt" berät Bankinstitute und Kreditnehmer zu den rechtlichen Aspekten eines etwaigen Widerrufsrechtes bei Verbraucherkreditverträgen.