Neues im Güterkraftverkehrsrecht - insb. zu den Auswirkungen der VO (EU) 2020/1055

Die Verordnung vom 20.7.2020 zur Änderung und Anpassung der maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen zum Güterkraftverkehr (EU) 2020/1055, der Verordnungen (EG) Nr. 1071/2009 und 1072/2009, an die seit 2009 erfolgten Entwicklungen hat eine Reihe von wichtigen Neuerungen gebracht, die nicht nur für die nationalen Gesetzgeber und Verwaltungsbehörden, sondern auch für die Güterkraftverkehrsunternehmen in der Europäischen Gemeinschaft - national wie grenzüberschreitend – sowie für deren Auftraggeber von erheblicher Bedeutung sind. Diese neuen Bestimmungen gelten weitgehend ab 21. 2.2022, eine, die im Folgenden besonders erwähnt wird, ab dem 22.5. 2022, unmittelbar im ganzen Gemeinschaftsgebiet. 

KUNZ Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht, Jürgen Knorre, stellt in seinem Beitrag die Auswirkungen dieser Verordnungen und eine bedeutsame Entscheidung des EUGH zur Kabotagebeförderung dar. 
 

I. Aus der Rechtsprechung

Nach einem Urteil des EuGH vom 8.7.2021- C 937/19 reicht eine grenzüberschreitende Beförderung im Werkverkehr in den Aufnahmestaat, z.B. Deutschland, aus, um dort Kabotagebeförderungen durchführen zu dürfen. Das Unternehmen braucht nicht über eine Gemeinschaftslizenz zu verfügen. Die übrigen Voraussetzungen für Kabotageverkehre gemäß Art. 8 VO (EG) 1072/2009 sind jedoch einzuhalten:

  1. Nur drei Kabotagefahrten innerhalb von sieben Tagen nach der letzten Entladung.
  2. Mitführung von eindeutigen Unterlagen über die grenzüberschreitende Beförderung – hier im Werkverkehr – sowie für jede einzelne Kabotagebeförderung.
  3. Ab dem 21.2.2022 die Sperrfrist von vier Tagen, vgl. Art. 8 Abs. 2 a neu- der genannten Verordnung und unten unter VO (EG) Nr.1072/2009 b).

Zuvor war nach der Verwaltungspraxis des BAG (Bundesamt für Güterverkehr) eine Einreise im gewerblichen Güterkraftverkehr und damit eine Gemeinschaftslizenz erforderlich.

 

II. Auswirkungen der VO (EU) 2020/1055

Diese Verordnung vom 20.7.2020 zur Änderung und Anpassung der maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Verordnungen zum Güterkraftverkehr, der Verordnungen (EG) Nr. 1071/2009 und 1072/2009, an die seit 2009 erfolgten Entwicklungen bringt eine Reihe von wichtigen Neuerungen, die nicht nur für die nationalen Gesetzgeber und Verwaltungsbehörden, sondern auch für die Güterkraftverkehrsunternehmen in der Europäischen Gemeinschaft - national wie grenzüberschreitend – sowie für deren Auftraggeber von Bedeutung sind. Diese neuen Bestimmungen gelten weitgehend ab 21. 2.2022, eine, die im Folgenden besonders erwähnt wird, ab dem 22.5. 2022, unmittelbar im ganzen Gemeinschaftsgebiet.

 

1. VO (EG) Nr. 1071/2009


a) Ausdehnung der Anforderungen für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrs-unternehmers

Die Schwelle für die Genehmigungspflicht wird für den grenzüberschreitenden Verkehr dahingehend verändert, dass für Beförderungen von Gütern mit Kraftfahrzeugen oder Fahrzeugkombinationen, deren zulässiges Gesamtgewicht 2,5 t überschreitet, bereits eine Gemeinschaftslizenz erforderlich wird (Art.1 Abs.4).

Auf den Gemeinschaftslizenzen für die Kraftfahrzeuge/Fahrzeugkombinationen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,5 bis 3,5 t wird ein Vermerk angebracht, dass diese nur bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht bis 3,5 t gelten.

Diese Regelung gilt gemäß der Neufassung des Art. 23 VO (EG) 1071/2009 erst ab 22.5 2022.

Die neuen Gemeinschaftslizenzen sollten unter Beifügung der entsprechenden Unterlagen alsbald beantragt werden.

Für nationale Beförderungen bleibt es den Mitgliedsstaaten vorbehalten, ob sie eine entsprechende Anpassung vornehmen wollen. Auch, wenn der deutsche Gesetzgeber bisher noch nichts unternommen hat, spricht Einiges für eine solche Anpassung
 

b)     Verschärfung der Voraussetzungen für die Gründung einer Niederlassung

Räumlichkeiten:
Im Niederlassungsstaat müssen Räumlichkeiten vorhanden sein, in denen das Unternehmen auf die Originale seiner wichtigsten Geschäftsunterlagen zurückgreifen kann, insbesondere auf Buchhaltungsunterlagen einschließlich Personal- und Sozialversicherungsunterlagen, Dokumente über Einsatz und Entsendung von Fahrern, Kabotage, Lenk- und Ruhezeiten und sonstige bei Betriebsprüfungen vorzulegende Unterlagen.

Einsatz der Fahrzeugflotte:            
Dieser ist so zu organisieren, dass die für grenzüberschreitende Beförderungen eingesetzten Fahrzeuge spätesten acht Wochen nach Verlassen des Mitgliedsstaats zu einer Betriebsstätte in diesem zurückkehren.

Damit soll das Entstehen von Autobahnnomaden und einer systematischen Kabotage verhindert werden.           
 

Weitere Anforderungen:  

Die Unternehmen müssen            
im Unternehmensregister oder in einem ähnlichen Register des entsprechenden Staates, soweit nach dessen Recht erforderlich, eingetragen sein, dort der Umsatzsteuer unterliegen und wenn vorgeschrieben über eine gültige Mehrwertsteuernummer verfügen,

  • nach Erhalt der Zulassung über ein oder mehrere Fahrzeuge, die nach Rechtsvorschriften des Niederlassungsstaats zugelassen oder in Betrieb genommen wurden, wobei diese auch im Mietkauf erworben, gemietet oder geleast sein dürfen, sowie gewöhnlich und dauerhaft über Fahrer entsprechend der Anzahl der Fahrzeuge verfügen,
     
  • ihre administrativen und gewerblichen Tätigkeiten, insbesondere Beförderungen tatsächlich und dauerhaft ausüben.

Darüber hinaus können die Aufnahmestaaten hinsichtlich der Erreichbarkeit des Verkehrsleiters, der Verwaltungsmitarbeiter, der operativen Ausstattung und der Öffnungszeiten weitere Anforderungen stellen.

Mit diesen zusätzlichen Anforderungen soll die Errichtung von „Briefkastenfirmen erschwert werden.

c)      Änderungen bezüglich der finanziellen Leistungsfähigkeit

Da nunmehr auch Kraftfahrzeuge und Fahrzeugkombinationen, deren zulässiges Gesamtgewicht 2,5 t übersteigt, von der VO (EG) 1071/2009 erfasst werden, ist eine Ergänzung vorgenommen worden. Für im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr eingesetzte Kraftfahrzeuge bzw. Fahrzeugkombinationen, deren zulässiges Gesamtgewicht 2.5 t nicht jedoch 3,5 t überschreitet, sind jeweils ein Kapital und Reserven von 900,00 € erforderlich. Werden ausschließlich derartige Kraftfahrzeuge eingesetzt, sind für das erste Kraftfahrzeug ein Kapital und Reserven in Höhe von1.800,00 € und von 900,00 € für jedes weitere nachzuweisen.

Abweichend von dieser Regelung können die Mitgliedsstaaten von den in ihrem Gebiet niedergelassenen Unternehmen verlangen, dass diese für die kleineren Fahrzeuge ebenfalls über Kapital/Reserven wie für die Größeren verfügen müssen, wobei dann die Kommission über diese Regelung zu unterrichten ist. 
 

d)     Verschärfung der Kriterien für die Zuverlässigkeit

Der Kreis der zu berücksichtigenden Personen wird auf die geschäftsführenden Direktoren, Vorstände, Geschäftsführer, geschäftsführenden Gesellschafter von Personengesellschaften, die nicht auch Verkehrsleiter sind, und auf Personen erweitert, die vom jeweiligen Mitgliedsstaat als maßgeblich bestimmt sind.

Weiterhin sind für die Beurteilung der Zuverlässigkeit nunmehr auch Verurteilungen und Sanktionen in den Bereichen Steuerrecht, Entsendung von Arbeitnehmern im Kraftverkehr, auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht und Kabotage zu berücksichtigen.

e)     Anforderungen an die fachliche Eignung

Nunmehr können die Mitgliedsstaaten in dreijährigen statt bisher in 10jährigen Abständen zu erfolgende regelmäßige Weiterbildungsmaßnahmen in den in Anhang I aufgeführten Sachgebieten verlangen.

Prüfungsbefreiung: Die Mitgliedsstaaten können zum Zweck der Erteilung von Lizenzen an Güterkraftverkehrsunternehmen, die nur Kraftfahrzeuge/Kombinationen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von höchstens 3,5 t einsetzen, beschließen, Personen, die nachweisen können, dass sie in dem Zeitraum von zehn Jahren vor dem 20.8.2020 ohne Unterbrechung ein Unternehmen derselben Art geleitet haben, von der in Art. 8 Abs. 1 VO (EG) Nr.1071/2009 genannten Prüfung zu befreien.
 

f)      Verschärfte Kontrollen

Die Verwaltungsbehörden haben nunmehr regelmäßig darüber zu wachen, dass die Voraussetzungen des Art. 3 der VO (EG) Nr. 1971/2009 von den zugelassenen Unternehmen erfüllt werden. Hierzu sind diese entsprechend dem Risikoeinstufungssystem nach Art. 9 der Richtlinie 2006/22/ EG, erweitert auf alle in der neuen Fassung des Art. 6 der VO (EU) 2020/1055 genannten Verstöße, zu kontrollieren, gegebenenfalls vor Ort in ihren Räumlichkeiten.
 

g)     Frist für die Rehabilitierung eines Verkehrsleiters

Jetzt ist festgelegt, dass die zuständige Behörde einen Verkehrsleiter frühestens ein Jahr nach dem Tag der Aberkennung der Zuverlässigkeit rehabilitieren kann. Voraussetzung dafür ist der Nachweis der Teilnahme an einer geeigneten Weiterbildung für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten oder des Bestehens einer Prüfung zu den in Anhang I der VO (EU) 2020/1055 aufgeführten Sachgebieten.

 

3. VO (EG) Nr. 1072/2009


a)     Anpassungen an die Änderungen der VO (EG) Nr. 1071/ 2009

Hier mussten einmal Anpassungen wegen der Erweiterung der Erlaubnispflicht auf Kraftfahrzeuge/Kombinationen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,5 t vorgenommen werden.
 

b)     Änderungen der Kabotageregeln (Artt. 8 ff)

aa)   Einführung einer Sperrfrist von vier Tagen bei Kabotagebeförderungen.

Für alle erlaubnispflichtigen Kabotagebeförderungen, also diejenigen, die nicht freigestellt sind, gilt gemäß dem neuen Absatz 2a des Artikels 8 VO (EG) 1072/2009, dass nach solchen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung im selben Mitgliedsstaat weitere entsprechende Beförderungen erst nach Ablauf von vier Tagen wieder durchgeführt werden dürfen. Damit sollen die Kabotagebeförderungen entsprechend dem Grundsatz der Zeitweiligkeit der Kabotage eingeschränkt werden.

bb)   Erhöhte Anforderungen bezüglich der mitzuführenden Papiere

Zur Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten bezüglich der neuen Sperrfrist wird den Verkehrsunternehmen aufgegeben, eindeutige Belege für die vorhergehende grenzüberschreitende Beförderung sowie für jede Kabotagebeförderung vorzuweisen, und für den Fall, dass sich das Fahrzeug innerhalb einer Frist von vier Tagen vor der grenzüberschreitenden Beförderung in dem Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats befunden hat zudem für alle Beförderungen, die in diesem Zeitraum durchgeführt wurden. Diese Belege sind bei Straßenkontrollen den Kontrollberechtigen auf Verlangen auszuhändigen oder elektronisch zu übermitteln.

cc)    Eine Definition des Begriffs der Kabotagebeförderung erfolgte in der neuen Verordnung jedoch nicht, so dass diese Streitfrage offen bleibt.
 

c)      Kontrollen   
Den Mitgliedsstaaten wird aufgegeben, sicherzustellen, dass in ihrem Hoheitsgebiet eine schlüssige nationale Durchsetzungsstrategie zur Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften angewandt wird, die auch die Kontrolle von Kabotagebeförderungen umfasst (Art. 10a neu).


d)     Maßnahmen gegen Auftraggeber

Soweit den Mitgliedsstaaten im neuen Art. 14a aufgegeben wird, Vorschriften über Sanktionen gegen Auftraggeber zu erlassen, ist darauf hinzuweisen, dass bei uns in Deutschland insoweit bereits die Bestimmung des § 7a GüKG besteht, die die Verantwortung des Auftraggebers regelt.

Diese gesetzgeberischen Maßnahmen zeigen deutlich, dass die Regelungen für den Güterkraftverkehr verschärft, genauer kontrolliert und Verstöße dagegen stärker sanktioniert werden.

Daher gilt es wegen der Folgen solche Verstöße, vor allem unnötige, zu vermeiden, was oft schon dadurch erfolgen kann, dass für den laufenden Geschäftsbetrieb Regeln aufgestellt werden, deren Einhaltung auch stringent kontrolliert wird und dass die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten, die die Vorschriften bieten, erkannt und genutzt werden.

 

Ihr Ansprechpartner:

Jürgen Knorre 
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht