Novellierung des Klimaschutzgesetzes

Am 24. Juni 2021 hat der Bundestag die Änderung des Klimaschutzgesetzes beschlossen. Mit der Gesetzesänderung soll der Beschluss  des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 (2 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20), wonach das Klimaschutzgesetz wegen fehlender Minderungsregelungen für die Zeit ab 2031 teilweise verfassungswidrig ist, umgesetzt werden.


Klimaschutz und Maßnahmen gegen Klimawandelfolgen sind eine gesetzliche Verpflichtung aus Art. 20a GG - Klimaschutz ist einklagbar
Nach dem Bundesverfassungsgericht umfasst die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Grundgesetz: Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit) auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit, auch künftiger Generationen, vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Das Grundrecht auf Eigentum Art. 14 Abs. 1 GG beinhalte auch eine Schutzpflicht des Staates hinsichtlich der Eigentumsgefahren des Klimawandels. Die Pflicht des Staates zum Klimaschutz, damit auch der Herstellung von Klimaneutralität sowie zu Maßnahmen gegen Klimawandelfolgen ergebe sich aus Art. 20a GG.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhält der Klimaschutz politisch und gesellschaftlich eine neue Qualität. Es gibt aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts keine politische Beliebigkeit mehr beim Umgang mit „den natürlichen Lebensgrundlagen“. Gesetzlicher Maßstab für die politische Zielerreichung ist das vom IPCC (International Panel on Climate Change) und vom deutschen Sachverständigenrat für Umweltfragen SRU hergeleitete CO₂-Budget, das Deutschland noch zusteht, damit das im Pariser Klimaschutzabkommen völkerrechtsverbindlich vereinbarte 1.5-Grad-Ziel  noch erreichbar ist. Das Recht auf Klimaschutz ist  einklagbar, sollte Politik nicht handeln, kann sie gerichtlich zum Handeln gezwungen werden.. 


Das deutsche Energiesystem muss wegen des Klimaschutzes umfassend transformiert werden
Bis 2045 sind die Treibhausgasemissionen nach dem Klimaschutzgesetz 2021soweit zu mindern, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. 2020 lagen die Klimagasemissionen bei 739 Mio. Tonnen CO₂.

Das gesetzliche Ziel Klimaneutralität erfordert die grundlegende und vor allem die beschleunigte Transformation des gesamten deutschen Energiesystems, weg von den heutigen fossilen zu den erneuerbaren Energien, und zwar bis 2045 – d.h. innerhalb von ca. 20 Jahren, 5 Jahre früher als es die EU-Klimapolitik derzeit für die gesamte Europäische Union vorsieht. Das hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, auf Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges in einem Umfang, der vielen noch nicht bewusst ist.

Umfassende Innovation ist künftig gefordert. Das bedeutet neue Produkte, neue Produktionsmethoden, neue Geschäftsmodelle, neue Absatzmärkte, neue Rohstoffquellen, neue Organisationsmodelle . Nach dem Ökonom Joseph Schumpeter muss hierzu „Gewohntes abgestoßen, müssen vielfältigste Widerstände überwunden werden“. Innovation bewirke „schöpferische Zerstörung“, provoziere so den „wirtschaftlichen Wandel“.  


Eine soziale Frage: Wieviel ´Innovation in kurzer Zeit´ hält Deutschland aus?
Was das für Unternehmen und Mitarbeiter bedeutet, das hat die Glühlampenindustrie mit der Umstellung auf LED hinter sich, und zwar weitgehend ohne staatliche Unterstützung. Die Mitarbeiter vor allem in den Kohlekraftwerken und in der Braunkohlegewinnung, aber auch die Mitarbeiter der Fahrzeugindustrie und deren Zulieferern – um diese als prominentes Beispiel zu nennen – stehen am Beginn der Transformation ihrer Industrien.

Politisch heißt das, die „schumpeter´sche schöpferische Zerstörung“, die sich aus der Umsetzung von Innovationen ergibt, sozial abzufedern. Denn nur durch Zulassung von Innovation bleibt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit ihr Überleben gesichert. Gleichzeitig gilt es, durch Qualifizierung der Beschäftigten und soziale Maßnahmen dies ohne gesellschaftliche Verwerfungen zu bewältigen. Prominentes Beispiel ist der „Kompromiss zum Kohleausstieg“. Dieser beinhaltet unter anderem bis zu 5 Mrd. € für ein „Anpassungsgeld“ für ältere Beschäftigte im Kohlesektor sowie Finanzhilfen für die betroffenen Braunkohleländer mit 14 Mrd. € und weitere 26 Mrd. € für zusätzliche Maßnahmen des Bundes z.B. in Form von Infrastrukturinvestitionen sowie die Ansiedlung von Bundeseinrichtungen.  

Während in der Kohleindustrie die Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen, man sich eine neue Arbeit suchen muss, bedeutet die Umstellung der Fahrzeugindustrie auf Elektromobilität vor allem die Notwendigkeit, sich neue Qualifikationen aneignen zu müssen. Hauptbetroffene sind die Zulieferer von den Komponenten, die beim künftigen Elektroantrieb nicht mehr gebraucht werden. Insoweit steht hier vor allem das Thema Weiterqualifizierung, aber auch Beweglichkeit beim Arbeitsplatz an, Anforderungen, die – wenn frühzeitig angepackt – gut bewältigt werden können. Denn die Transformation der Fahrzeugindustrie heißt in Summe nicht Wegfall von Arbeitsplätzen, sondern neue Qualifikationen.


Fehlinvestitionen und damit Entschädigungszahlungen vermeiden
Klimaneutralität 2045 hört sich an, als ob noch Zeit sei. Aber bis 2045 sind es nur noch etwas mehr als 20 Jahre. Bis dahin dürfen Klimagase aus der Energieerzeugung nicht mehr emittiert werden, müssen Kohle, Öl, Erdgas und sonstige Fossilenergien durch Erneuerbare Energien ersetzt sein. Damit dies termingerecht erreicht wird, werden im Gesetz für den Weg dorthin die deutschen CO₂-Minderungspflichten entsprechend den neuen EU-Vorgaben bezogen auf das Basisjahr 1990 für 2030 von 55% auf 65% angehoben. Bis 2040 muss eine 88%ige CO₂-Minderung umgesetzt sein.

Vor allem in der Industrie, aber auch im Gebäude- und Energiesektor gibt es viele Investitionen, deren Nutzungsdauer deutlich über 2045 hinausgeht. Nach dem Klimaschutzgesetz müsste, sofern sie fossile Energien nutzen, deren Einsatz 2045 enden. Insoweit stellt sich hier die Frage: Reicht die Feststellung der Klimaneutralität 2045 im Klimaschutzgesetz aus, Entschädigungsansprüche Privater gegen den Staat zu vermeiden, wenn jetzt noch Klimagas emittierende Investitionen getätigt werden, deren Nutzungszeit über 2045 hinausgeht und die 2045 vorzeitig stillgelegt werden müssen? Oder bedarf es hierzu eines eigenen Gesetzes sofort? Zudem stellt sich die Frage, wie geht man später mit Entschädigungsansprüchen um bei jetzt schon getätigten fossilen Investitionen, deren Nutzungsdauer über 2045 hinausreicht?

Welche Relevanz diese Fragestellung hat, zeigt sich beim Atom- und Kohleausstieg. So haben sich die Betreiber von Kernkraftwerken vor dem Verfassungsgericht für die nach dem AKW-Unfall in Fukushima verfügte vorzeitige Stilllegung und verfallene Produktionsrechte höhere staatliche Ausgleichszahlungen erstritten.  Geeinigt hat sich die Bundesregierung mit den Konzernen am 5. März 2021 auf eine Entschädigung von 2.4 Mrd. € für entgangene Gewinne und umsonst getätigte Investitionen. Anmerkung: Hätte man den Atomkonsens vom Jahr 2000 in 2010 nicht beendet und keine Laufzeitverlängerung der AKW beschlossen, wären diese Kosten dem Steuerzahler erspart geblieben. 

Die Entschädigungszahlungen für den Kohleausstieg sind zwar noch nicht endgültig bekannt. Bekannt sind die Entschädigungszahlungen für die Betreiber der Braunkohlekraftwerke von bis zu 4.35 Mrd. €. Da das Abschalten der Kohlekraftwerke vor allem über Ausschreibungen laufen wird, sind die Kosten hierfür noch nicht bezifferbar. Aus Sicht der Wirtschaftsweisen 2019 wäre in dem derzeitigen System mit dem Emissionshandel kein subventionierter Ausstieg aus der Kohle notwendig gewesen. Der Kohleausstieg wäre mit steigendem CO₂-Preis mittelfristig sowieso gekommen, je nach Grenzvermeidungskosten sogar früher als 2038. Auf Grund des Einspeisevorrangs und der Grenzkosten von Null hätte ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien denselben Effekt wie ein steigender CO₂-Preis gehabt und zudem noch die Wirtschaft vor den kohleausstiegsbedingt steigenden Strombörsenpreisen bewahrt.

Diese Zahlen zeigen, dass bei nicht frühzeitigem Handeln des Gesetzgebers Entschädigungszahlungen eine beachtliche Größenordnung erreichen können. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von der „gebotenen Orientierungsfunktion, die weitgehend in der Hand des Gesetzgebers liege“ (Beschluss vom 24. März 2021, RdN. 252) sowie von der Notwendigkeit eines „gestuften Prozesses“ bezüglich der Festlegung von CO₂ -Minderungspflichten. „Das muss jeweils so rechtzeitig geschehen, dass klare Planungshorizonte entstehen (Beschluss vom 24. März 2021, RdN. 253).


Generationengerechtigkeit des Klimaschutzgesetzes 2021 ist fraglich
Nach Ziff. 4 und 5 der Leitsätze im Beschluss des  Bundesverfassungsgerichts verpflichtet das Grundgesetz zum Klimaschutz „über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen“. Eine einseitige Verlagerung der durch Art. 20a aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft ist danach nicht grundgesetzkonform.

Die für 2020 zulässige Jahresemissionsmenge von insgesamt 813 Mio. Tonnen CO₂ ist bis 2045 auf Nullemission zurückzuführen . Das wäre linear eine jährliche Minderung der Treibhausgasemissionen von 32.5 Mio. t. Bis 2030 ist die Emission auf 438 Mio. t CO₂ zu verringern. Das entspricht einer Minderungspflicht von 375 Mio. t bzw. linear von jährlich 37.5 Mio. t in den 10 Jahren bis 2030. Im Grundsatz ist diese Mehrminderung bis 2030 nur geringfügig, obwohl derzeit die „low hanging fruits“, d.h. die einfachen und kostengünstigen Minderungen „erntbar“ sind. Denn am Anfang sind Systemänderungen einfach und kostengünstig möglich. Je später, umso aufwendiger und teurer wird es.    

2020 lag der Anteil erneuerbarer Energie am Endenergieverbrauch erst bei 19.3%. Linear betrachtet heißt das: Pro Jahr sind bis 2045 3% des fossilen Endenergieverbrauchs durch Einsparung, Effizienz und erneuerbare Energien zu ersetzen. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe mit großer politischer Verantwortung.

Was hierzu politisch fehlt, ist ein wissenschaftlich, ökonomisch fundierter Fahrplan der Treibhausgasminderungen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat 2009 anläßlich der Weltklimakonferenz von McKinsey die Studie „Kosten und Potenziale der Vermeidung von Treibhausgasemissionen in Deutschland“ erstellen lassen. Es würde sich lohnen, diese Studie in Form der damals gewählten CO₂-Vermeidungskostenkurve zu aktualisieren. Es würde sich zeigen, dass es heute viel mehr Technologien mit negativen Vermeidungskosten gibt, deren Erschließung ein volks- und betriebswirtschaftlicher Gewinn wäre. Es würde auch - wie damals schon - deutlich, dass der vorrangige Ausbau der erneuerbaren Energien der größte Hebel zu einer wirtschaftlichen und schnellen Treibhausgasminderung ist. Der derzeit politisch fehlende Gesamtplan, die fehlende Fokussierung auf die wirtschaftlich erschließbaren Treibhausgasminderungspotenziale und das permanente Anpassen der Gesetzgebung in „Pünktchen“ statt dem Verfolgen eines fundierten Gesamtkonzepts machen die Energiewende unnötig teuer und führen zu Orientierungsproblemen bei Gesellschaft und Wirtschaft.


Ist Klimaneutralität bis 2045 erreichbar?
Dass Klimaneutralität wirtschaftlich vernünftig erreichbar ist, und zwar weltweit, das belegen viele Studien, nicht nur für Deutschland, besonders viele aus USA. Viele Klimaschutztechnologien würden sich sowieso durchsetzen, weil sie nicht nur umweltfreundlicher, sondern gleichzeitig hocheffizient sind und damit Kosten reduzieren.

Eine Orientierung, was zu tun ist, gibt u.a. die Studie „Politikinstrumente für ein klimaneutrales Deutschland – 50 Empfehlungen für die 20. Legislaturperiode 2021-2025“ von der Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende (2021). Basis für das Voranbringen des Klimaschutzes sind CO₂-Bepreisung, Ordnungsrecht, Fördermaßnahmen und steuerliche Anreize. Auch wenn es politisch nicht so beliebt ist, ist ein gut gemachtes Ordnungsrecht mit das effizienteste und kostengünstigste Instrument. Der gesetzliche Zwang zur Zielerreichung wird dem Ordnungsrecht einen neuen Stellenwert in der Klimaschutzgesetzgebung geben.

Wie schwer sich Politik in Wahlkampfzeiten mit konkreten Maßnahmen tut, das zeigt das aktuell abgelaufene Gezerre um das vom Bundeskabinett zugestimmte Papier „Klimapakt – Klimaschutz Sofortprogramm 2022 der Bundesregierung“. An Konkretem ist wenig vom Entwurf übrig geblieben. Das Klimaschutzgesetz mit seinen anspruchsvollen Zielen, die in der Zukunft liegen, zu beschließen, ist politisch kein Problem. Sich auf konkrete Maßnahmen zu verständigen, gelingt kaum noch. Daher die Überschrift eines Pressebeitrags aus den USA:

„Strategy without execution is just bullshit, you have to lead with action, not words” (SolarWakeup, 21. Juni 2021: Los Angeles Strategy Without Execution“). Hoffen wir, dass nach dem Wahlkampf und der Bundestagswahl eine konsistente, wissenschaftsbasierte Langfriststrategie für den Klimaschutz erarbeitet und nicht vor allem geredet, sondern kompetent gehandelt wird. Denn es geht um unsere Zukunft, auch um den Wirtschaftsstandort Deutschland.


Zu allen Fragen zur Novellierung des Klimaschutzgesetzes steht Ihnen unser Kompetenzteam "Umwelt, Klima und Energie" zur Verfügung.