In den Jahren vor der Pandemie und der sogenannten Ukraine-Krise ging es den meisten mittelständischen Unternehmensgruppen und Konzernen wirtschaftlich gut und insolvenzrechtliche Fragen stellten sich kaum. Insgesamt waren Insolvenzen in dem vorgenannten Zeitraum stark rückläufig. Dies führte dazu, dass die oft schwerwiegenden Folgen, die eine Insolvenz eines Unternehmens innerhalb der Unternehmensgruppen haben kann, in den Hintergrund traten und bei gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen regelmäßig nicht beachtet wurden. Wie eine Analyse der Rechtsprechung des BGH und des BFH zeigt, kann dieses Versäumnis jedoch fatale Folgen, auch für den Gesellschafter (Unternehmer) selbst, der sich in Sicherheit wiegt, haben.
KUNZ Partner Richard Haug, Leiter der Stuttgarter Standorts, weist nachfolgend auf die erheblichen Risiken und Haftungsfallen hin und zeigt Wege auf, durch geschickte Gestaltung diese Gefahren und die teilweise verheerenenden wirtschaftlichen Folgen für Gesellschafter und Gesellschaften deutlich zu minimieren:
Ausgangspunkt sind insolvenzrechtliche Anfechtungsvorschriften und hier insbesondere § 135 InsO. Zwar wurde der klassische Eigenkapitalersatz mit Inkrafttreten des sogenannten Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) im Jahr 2008 abgeschafft, die materiellen Ideen, insbesondere die Idee der Finanzierungsverantwortung des Gesellschafters, leben aber in der Rechtsprechung des BGH weiter, der nach der Gesetzesreform seine Rechtsprechung zur neuen Gesetzeslage nach und nach immer weiter ausgedehnt hat.
Überließ ein Gesellschafter einem Unternehmen einen Gegenstand zur Nutzung, konnte das Nutzungsrecht an diesem Gegenstand vor der oben genannten Gesetzesreform (MoMiG), vereinfacht dargestellt, im Fall der Insolvenz in die Masse des insolventen Unternehmens fallen und war für den Gesellschafter wirtschaftlich zumindest temporär verloren (vereinfachte Darstellung). Man sprach hier von der sogenannten eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung. Diese Rechtsprechung wurde mit der Gesetzesreform abgeschafft. Der Insolvenzverwalter darf den Gegenstand nunmehr lediglich für eine bestimmte Zeit nutzen, muss dafür aber eine Vergütung bezahlen (§ 135 Abs. 3 InsO). Fallstricke gibt allerdings auch nach der Gesetzesreform, z.B. wenn eine Mietzahlung gestundet wurde.
Anders ist es jedoch auch nach der Gesetzesreform bei dem sogenannten Gesellschafterdarlehen. Bei diesem hat der Gesetzgeber Teile des früher geltenden Rechts übernommen und in § 135 InsO überführt. Obwohl es für einen Unternehmer bei rein wirtschaftlicher Betrachtung oft nicht darauf ankommt, ob er seinem Unternehmen einen Gegenstand zur Nutzung überlässt oder ob er dem Unternehmen ein Darlehen gibt, differenziert das Gesetz hier in entscheidungserheblicher Art und Weise.
Ein Gesellschafterdarlehen ist in der Insolvenz wirtschaftlich verloren.
Gibt ein Gesellschafter seinem Unternehmen ein Darlehen und ist dieses Darlehen zum Zeitpunkt des Insolvenzeintritts noch offen, kann der Gesellschafter seinen Rückzahlungsanspruch nur als sogenannte nachrangige Insolvenzforderung geltend machen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Faktisch bedeutet dies in der Regel einen vollen Ausfall des Darlehens. Wurde das Darlehen in einem Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung zurückgewährt, kann der Insolvenzverwalter den Betrag sogar zurückfordern. Ausgenommen sind nur Minderheitsbeteiligungen bis maximal 10 %, wenn der Gesellschafter nicht in der Geschäftsführung aktiv ist. Aber selbst solche Fälle hat der BGH aufgeweicht (BGH vom 26.01.2023, IX ZR 85/21).
Es kommt aber oftmals noch deutlich schlimmer.
Sicherheiten, die die Gesellschaft dem Gesellschafter gewährt hat, sind nämlich über einen Zeitraum von 10 Jahren anfechtbar. Daraus hat der BGH bereits im Jahr 2013 geschlossen, dass wenn ein Gesellschafterdarlehen vor Insolvenzeröffnung zurückgezahlt wurde und die Jahresfrist (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO) schon abgelaufen ist, dennoch ein Anspruch gegen den Gesellschafter besteht, wenn für die Rückzahlung eine gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Sicherheit benutzt wurde (BGH vom 18.07.2013, IX ZR 219/11). In vielen Fällen unterliegt der Gesellschafter einem Risiko von 10 Jahren.
Gefahren drohen auch, wenn eine Schwestergesellschaft ein Darlehen gewährt.
Eher wenig bekannt bei Beratern ist, dass der BGH bislang nahezu alle Umgehungsversuche gestoppt hat. So hat der BGH entschieden, dass auch dann, wenn eine Schwestergesellschaft das Darlehen gewährt, § 135 InsO dennoch Anwendung findet, obwohl es sich bei rein formaler Betrachtung um kein Gesellschafterdarlehen handelt. Der BGH stellt insoweit auf die Einflussmöglichkeit ab. Der BGH hat für maßgeblich erachtet, dass beide Gesellschaften von ein und demselben Gesellschafter, in der Regel, aber nicht zwingend, eine Naturperson, dominiert werden (BGH vom 15.11.2018, IX ZR 39/18). Der BGH hat aber selbst dann, wenn der Gesellschafter keine Mehrheitsbeteiligung hatte, § 135 InsO zur Anwendung kommen lassen, wenn eine faktische Einflussnahme, zum Beispiel innerhalb einer Familienstruktur, besteht. Die Anfechtbarkeit wird auch nicht dadurch beseitigt, dass weitere Gesellschaften dazwischengeschaltet werden.
Extensive Rechtsprechung des BGH zu Gunsten des Insolvenzverwalters
Auch bei anderen Konstellationen hat der BGH extensiv seine Rechtsprechung ausgedehnt und zahlreiche Konstellationen, die auf den ersten Blick kein klassisches Darlehen darstellen, wie ein Darlehen behandelt. Selbst eine Stundung von Geschäftsführervergütungen eines Gesellschafters oder von Ansprüchen auf Gewinnentnahmen können zur „Verhaftung“ des Anspruchs und im Ergebnis zur Anfechtbarkeit späterer Zahlungen führen. Und sogar bei einem ganz normalen Leistungsaustausch (Ware gegen Geld) zwischen Gesellschafter und Gesellschaft kann unter bestimmten Voraussetzungen § 135 InsO zur Anwendung kommen (BGH vom 24.02.2022, IX ZR 250/20). Der BGH hat also eine sehr weite Betrachtung bei der Beurteilung dessen, was er wirtschaftlich für ein Darlehen hält, und nutzt dabei aus, dass eine Erfassung von Umgehungen im Gesetz angelegt ist. So wird gemäß § 135 Abs. 2 InsO die Besicherung eines Fremddarlehens durch einen Gesellschafter im Ergebnis wie ein Gesellschafterdarlehen behandelt. Dasselbe gilt über eine Generalklausel, die in § 135 Abs. 2 InsO verankert ist, bei allen anderen Konstellationen, die wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechen.
Die Rechtsprechung des BGH ist hier äußerst „kreativ", jedoch fast immer zu Gunsten des Insolvenzverwalters. Auch andere Anfechtungstatbestände, wie z.B. im Falle von unentgeltlichen oder sog. inkongruenten Leistungen, hat der BGH ist stark ausgedehnt.
Vorsicht ist auch bei Sachdarlehen geboten.
Die vorgenannte Rechtsprechung gilt zudem auch für den Fall, dass kein Gelddarlehen, sondern ein Sachdarlehen gewährt wird, was bei metallverarbeitenden Unternehmen, insbesondere im Edelmetallbereich, nicht selten ist. Gerade hier ist die Grenze zur Nutzungsüberlassung wirtschaftlich fließend, rechtlich aber scharf und folgenreich.
Im Steuerrecht sind zudem Haftungsfallen für den Gesellschafter begründet.
Im Falle des Insolvenzeintritts kann es nicht nur zum wirtschaftlichen Verlust des Darlehens kommen, sondern sogar dazu, dass der Gesellschafter für den Veräußerungsgewinn des Insolvenzverwalters haftet, obwohl ihm der Gewinn, der durch die Verwertung entsteht, nicht zufließt. Dies liegt in der Besonderheit des deutschen Rechts, dass bei Personengesellschaften die Personengesellschaft selbst nur für die Gewerbesteuer Steuerschuldnerin ist, nicht jedoch für die für Gewinne entstehende Einkommenssteuer. Für diese haftet allein der Gesellschafter. Der BFH hat in einer Entscheidung über eine OHG explizit festgehalten, dass der Insolvenzverwalter die Einnahmen aus der Verwertung erhält, der Gesellschafter aber für die Steuern haftet (BFH vom 05.03.2008, X R 60/04). Da die Steuern aber in vielen Fällen nur bezahlt werden können, wenn der Erlös dafür genutzt werden kann, kann dies im schlimmsten Fall zur Insolvenz beim Gesellschafter selbst führen. Diese Rechtsprechung wurde von einem Instanzgericht auf die Kommanditgesellschaft übertragen (FG Düsseldorf vom 17.05.2018, 15 K 1458/17; FG Hamburg vom 13.10.2020, 2 K 107/18). Über die steuerliche Haftung auch des Kommanditisten dürfte der BFH in den kommenden Jahren noch entscheiden, die Risiken einer Anwendung auch auf die KG (einschließlich GmbH & Co. KG) seitens des BFH sind aber aus unserer Sicht hoch. Dies kann im Ergebnis dazu führen, dass die Haftungsbeschränkung des Kommanditisten gegenüber dem Finanzamt dadurch ausgehebelt wird, dass ein Insolvenzverwalter bei der Verwertung eines Gegenstands, der nach insolvenzrechtlichen Vorschriften in die Masse fällt, Gewinne erzielt, die Einkommenssteuer auslösen. Das kann insbesondere immer dann eintreten, wenn sich in der Insolvenzmasse Gegenstände befinden, die hohe stille Reserven ausweisen, wie zum Beispiel Grundstücke oder Edelmetalle. Denn in diesen Fällen liegt es nahe, dass bei der Verwertung ein Gewinn entsteht. Die Aufspaltung zwischen Einnahmen aus der Verwertung und Steuerpflicht für die dadurch entstandenen Gewinne in der Insolvenz zum Nachteil des Gesellschafters ist ein von Steuerberatern oft nicht beachtetes Problem, das in der Praxis mehrfach zu schwerwiegenden Konsequenzen führt, wie man Gerichtsentscheidungen entnehmen kann.
Es erstaunt schon etwas, dass Steuerberater immer noch viele Gestaltungen auf Basis von oft mehrstöckigen Personengesellschaften empfehlen, ohne Haftungsrisiken ausreichend zu beachten. Denn persönliche Steuerpflichten unterlaufen die Haftungsbeschränkung des Kommanditisten. Das gilt außerhalb der Insolvenz z.B. auch bei der Aufdeckung stiller Reserven, die in Deutschland in zahlreichen Konstellationen auch dann möglich ist, wenn es nicht zu einem Geldfluss kommt. Immer dann, wenn der Gesellschafter für Gewinne steuerpflichtig wird, ohne dass es zu einem Geldzufluss (Zufluss von Liquidität) kommt, kann es zu einem Liquiditätsproblem kommen, das den Gesellschafter in Bedrängnis bringen kann. Wir wollen nicht pauschal von Personengesellschaften abraten, aber man sollte vor einer Gestaltung stets prüfen, welche steuerlichen Risiken es in der konkreten Konstellation geben kann.
Gerade bei steuerlichen Gestaltungen zeigt sich aus unserer Sicht ein kurzfristiges Denken. Denn die Personengesellschaft bietet (vermeintliche) steuerliche Vorteile und lässt in bestimmten Konstellationen eine Verschleierung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft zu, hat aber langfristig betrachtet nicht nur beim Eintritt von Insolvenzen erhebliche Nachteile gegenüber Kapitalgesellschaften, z.B. bei den Sperrfristen (insbesondere bei Gestaltungen nach dem Umwandlungsgesetz) und der Frage des notwendigen Betriebsvermögens. Zudem besteht das grundsätzliche Problem, dass der Gesellschafter für Gewinne im Rahmen der Einkommensteuer persönlich haftet, weil die Personengesellschaft nach der Rechtsprechung des BFH kein selbstständiges Steuersubjekt ist (was freilich bei der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer nicht stimmt). Die Kapitalgesellschaft ist dafür im Grundsatz für ihre Gewinne selbst steuerpflichtig, denn sie bezahlt neben der Gewerbesteuer noch Körperschaftssteuer. Auf Gesellschafterebene erfolgt eine (natürlich nur noch vergleichsweise geringe) Besteuerung erst, wenn der Gewinn ausgeschüttet wird (vereinfachte Darstellung). Das verringert persönliche Haftungsrisiken für Steuern auf Gesellschafterebene in erheblichem Maße (Einschränkungen diese Grundsatzes gibt es freilich auch hier). Die Risiken einer Aufspaltung zwischen Geldzufluss (Liquidität) und Steuerpflicht auf Gesellschafterebene sind daher bei der Kapitalgesellschaft folglich deutlich niedriger als bei der Personengesellschaft.
Dennoch ist es möglich, die sich aus der Rechtsprechung des BGH ergebenden Folgen legal einzudämmen und zumindest deutlich zu verringern.
Aus unserer Praxis sind hier mehrere dramatische Fälle bekannt. In den Fällen der Aufdeckung stiller Reserven kann man vielfach noch nicht einmal den Berater in Haftung nehmen, weil der BGH in zahlreichen Konstellationen bei der Aufdeckung von stillen Reserven wegen der latenten Steuerpflicht einen Vermögensschaden selbst bei grober Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz des Beraters verneint, was weithin unbekannt ist. Die Rechtslage und die Rechtsprechung des BGH in Haftungsfragen ist in Deutschland materiell wie prozessual völlig ungenügend zu Lasten des Mandanten ausgestaltet und führt zu hohen Verfahrenskosten und Prozessrisiken. Ca. die Hälfte unserer Fälle beschäftigt sich mit reinen Reparaturarbeiten und nicht mit neuen Gestaltungen „auf der grünen Wiese“. Man sollte also möglichst gleich eine fehlerfreie Gestaltung wählen.
Ganz allgemein beobachten wir in den Fällen, in denen wir um Rat gefragt werden, dass eine Vielzahl der Unternehmensstrukturen, die es im Mittelstand gibt, weder zivilrechtlich (unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Haftungsrisiken bis hin zur Insolvenz) noch steuerrechtlich gut durchdacht und funktionabel sind. Oftmals wird auch bei der ersten Gestaltung nicht bedacht, dass durch diese Sperrfristen ausgelöst und weitere Gestaltungen dann während der Sperrfrist nicht mehr steuerneutral vorgenommen werden können. Es ist aber ein verbreiteter Irrglaube, dass es nicht möglich sei, eine Unternehmensgruppe haftungsrechtlich wie steuerrechtlich gut aufzustellen und trotzdem praktisch funktionierende Abläufe zu haben. Man muss nur dazu bereit sein, alte und ausgetretene Pfade zu verlassen.
Bei der Gestaltung von Unternehmensstrukturen muss man daher zwei Zielvorgaben beachten: zum einen muss durch eine Gestaltung sichergestellt werden, dass die operativ tätige Gesellschaft zwar arbeitsfähig ist, im Insolvenzfall jedoch möglichst wenig Masse zu der operativ tätigen Gesellschaft gezogen werden kann. Dieses Ziel kann man bei einer guten Gestaltung der Unternehmensstruktur und der dazugehörigen Verträge in vielen Fällen erreichen oder zumindest den Umfang der im Insolvenzfall verlorenen Masse deutlich verringern. Zum anderen kann man durch steuerliche Gestaltungen verhindern, dass im Fall der Insolvenz einer Gesellschaft einer Unternehmensgruppe, in der Personengesellschaften enthalten sind, etwaige Veräußerungsgewinne des Insolvenzverwalters auf den Gesellschafter durchschlagen. Zudem müssen zukünftige Veränderungen bereits bei der ersten Gestaltung eingeplant werden.
Verringerung von Haftungsrisiken auch außerhalb einer Insolvenz
Auch unterhalb der Stufe der Insolvenz geht es darum, Haftungsrisiken in rechtlich zulässiger Art und Weise in bestimmten Gesellschaften anzusiedeln, um Risiken (auch Produkthaftungsrisiken) von der gesamten Unternehmensgruppe abzukapseln und auch hier erleben wir immer wieder, dass rechtlich legale Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden.
Haben wir Ihr Interesse an einer Beratung geweckt?
Wir prüfen gerne für Sie, ob bei Ihrer Unternehmensgruppe rechtliche oder steuerliche Risiken bestehen und sind, falls gewünscht, auch dazu in der Lage, eine Neuaufstellung Ihrer Unternehmensgruppe (auch Konzern) zu begleiten. Dabei können wir (gegebenenfalls mit unseren Partnern) sämtliche rechtlichen und steuerlichen Fragen und Problemstellungen abdecken.
Wenden Sie sich gerne an Ihren Ansprechpartner:
Richard Haug
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