Weitere Verschärfungen der gesetzlichen Bestimmungen im Bereich des Güterkraftverkehrs

Die Verschärfungen der gesetzlichen Bestimmungen im Bereich des Güterkraftverkehrs gehen weiter. KUNZ-Transportrechtler Jürgen Knorre stellt die wesentlichen Neuerungen vor:

Die Verschärfungen gelten insbesondere für die Folgen von Verstößen gegen Unionsvorschriften. Begründet wurde dies in der EU-VO 2016/403 vom 18.3.2016 damit, dass Maßnahmen erforderlich seien, um Transparenz, Fairness und Rechtssicherheit im Rahmen der Beurteilung des Schweregrads von Verstößen und ihren Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit des Verkehrsunternehmers oder des Verkehrsleiters zu gewährleisten.

Der Europäischen Kommission wurde aufgegeben, den Schweregrad der Verstöße nach der von ihnen ausgehenden Gefahr zu definieren und die Zahl der Verstöße festzulegen, bei deren Überschreiten wiederholte leichtere Verstöße als schwerwiegender eingestuft werden.

2020 wurden mit den inzwischen in Kraft getretenen Verordnungen 2020/1054 und 2020/1055 neue „schwerwiegende Verstöße“ gegen das auf vertragliche Schuldverhältnisse, Kabotage und Entsendung von Arbeitnehmern im Kraftverkehr anzuwendende Recht in die Liste der Verstöße aufgenommen, die zur Aberkennung der erforderlichen Zuverlässigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b) der VO (EU) Nr.1071/2009 bzw. § 2 der Berufszugangsverordnung führen können.

Eingeteilt werden die Verstöße in schwerwiegende (SI), sehr schwerwiegende (VSI) und höchst schwerwiegende (MSI).

In Anpassung an die verschärften Bestimmungen in den genannten Verordnungen 2020/1054 und 2020/1055 wurde die VO 2016/403 durch die Durchführungsverordnung 2022/694 vom 2.5.2022 geändert.

In deren Anhang I sind nunmehr in insgesamt 14 Gruppen Verstöße gegen die

  1. VO (EG) Nr. 561/2006 (Lenk- und Ruhezeiten)
  2. VO (EG) Nr. 165/2014 (Fahrtenschreiber)
  3. Richtlinie 2002/15/EG (Arbeitszeitvorschriften)
  4. Richtlinie 96/53/EG (Vorschriften für Gewicht und Abmessungen)
  5. Richtlinie 2014/47 EU (Technische Unterwegskontrollen)
  6. Richtlinie 92/6/EWG (Geschwindigkeitsbegrenzer)
  7. Richtlinie 2003/59/EG (Grundqualifikationen und Weiterbildung der Fahrer)
  8. Richtlinie 2006/126/EG (Vorschriften zum Führerschein)
  9. Richtlinie 2008/68/EG (Beförderung von Gefahrgut auf der Straße)
  10. VO (EG) Nr. 1072/2009 (Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs)
  11. VO (EG) Nr. 1073/2009 (Zugang zum Personenkraftverkehrsmarkt)
  12. VO (EG) Nr. 1/2005 (Tiertransporte)
  13. VO (EG) Nr. 593/3008 (auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht
  14. Richtline (EU) 2020/1057 (Entsendung von Arbeitnehmern im Kraftverkehr)


aufgeführt, die zu einer Aberkennung der Zuverlässigkeit des Unternehmens und/oder Verkehrsleiters führen können.

Bezüglich Verstößen gegen die VO (EG) Nr. 1072/2009 ist z.B. bei der Beförderung von Gütern ohne Berechtigung neu zu berücksichtigen, dass seit dem 21.5.2022 für grenzüberschreitende Transporte mit Fahrzeugen/Fahrzeug-kombinationen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,5 t, aber nicht mehr als 3,5 t eine „abgespeckte“ Gemeinschaftslizenz mit geringerem Eigenkapitalnachweis erforderlich ist.

Bei Verstößen gegen die angepassten Kabotagebestimmungen (Art. 8 VO (EG) Nr. 1072/2009) ist einmal bei Beförderungen, die nicht mit den im Aufnahmestaat geltenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften im Einklang stehen, das durch die Anpassungen nicht gelöste  Problem der fehlenden gesetzlichen Definition des Begriffs „Kabotagebeförderung“ nach wie vor zu beachten.

Neu kommt hinzu, dass in einem Mitgliedsstaat innerhalb von vier Tagen nach Ende der letzten rechtmäßigen Kabotagebeförderung im selben Mitgliedsstaat keine weiteren solchen Beförderungen durchgeführt werden dürfen.

Weiter muss das Verkehrsunternehmen in der Lage sein, „eindeutige“ Belege für die vorhergehende grenzüberschreitende Beförderung und/oder für jede  darauf folgende Kabotagebeförderung und/oder in den Fällen, in denen sich das Fahrzeug innerhalb der Frist von vier Tagen vor der grenzüberschreitenden Beförderung im Aufnahmestaat befindet für alle durchgeführten Beförderungen vorzuweisen und diese Belege bei Straßenkontrollen vorzulegen.

Die Verstöße gegen die VO (EG) Nr. 1072/2009 werden alle als sehr schwerwiegend (VSI) eingestuft.

Darüber hinaus wurden in Anhang II der neuen Durchführungsverordnung Regeln für die Bewertung der Häufigkeit von schwerwiegenden Verstößen aufgestellt, wenn diese wiederholt vorkommen.   
Solche Verstöße des Schweregrads SI oder VSI werden jeweils als schwerer wiegender Verstoß eingeordnet, sobald sie dreimal pro Fahrzeug und Jahr auftreten. Bei drei sehr schwerwiegenden Verstößen (VSI) pro Fahrzeug und Jahr ist ein Verfahren zur Bewertung der Zuverlässigkeit des Kraftverkehrsunternehmens einzuleiten. Hier zählt der Durchschnittswert der im Laufe des Jahres eingesetzten Fahrzeuge und nicht derjenige der eingesetzten Fahrer.

Die Mitgliedsstaaten können in ihren nationalen Verwaltungsvorschriften strengere Schwellenwerte festlegen.

Es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen der in Deutschland noch vorzunehmenden Bewertung der Kraftverkehrsunternehmen nach der neuen Fassung des  Art. 12 VO (EG) Nr.1071/2009 bei solchen mit einer erhöhten Risikoeinstufung auch eine nationale Verschärfung der Schwellenwerte vorgenommen wird.

Die Aufnahme immer weiterer Verstöße in die Liste der für die Bewertung der Zuverlässigkeit von Kraftverkehrsunternehmen maßgeblichen Verstöße zeigt, dass in Zukunft mehr darauf geachtet werden sollte, solche Verstöße, insbesondere Bußgelder oder sonstige Bestrafungen zu vermeiden, um nicht die „Zuverlässigkeit“ als maßgebliche Voraussetzung für die Ausübung des Berufs des Kraftverkehrsunternehmers in der Europäischen Gemeinschaft einzubüßen.

Zudem werden die zuständigen Behörden in Zukunft gezielte Kontrollen von Unternehmen, die wegen festgestellter Verstöße als solche mit erhöhtem Risiko eingestuft wurden, vornehmen. Dazu gehören auch Kontrollen vor Ort in den Räumlichkeiten des Unternehmens mit Prüfung der dort aufzubewahrenden Unterlagen (vgl. Art. 12 VO (EG) Nr. 1071/2009 neueste Fassung).

 

Jürgen Knorre
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht