Die neuen Regeln der Verordnung Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR Nr. 30/53) treten zum 01.04.2022 in Kraft und werden für die betroffenen öffentlichen Auftraggeber und Auftragnehmer erhebliche Auswirkungen haben. Noch weiß niemand, was wirklich drinsteckt: „Vermuten“ und „schätzen“ könnte nämlich künftig bei Preisprüfungen angesagt sein und mehr Fragen als Antworten aufwerfen.
KUNZ Partner Dr. Andreas Ziegler und Dipl. Verwaltungswirt Hans-Peter Müller wagen einen ersten Ausblick:
1. Öffentliches Preisrecht
Während das Vergaberecht eine wettbewerbliche Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots anhand objektiver Kriterien gewährleisten soll, stellt das Preisrecht über den sog. „Marktpreisvorrang“ sicher, dass für öffentliche Aufträge nur solche Preise vereinbart werden, die der Anbieter bereits am Markt in Konkurrenz zu anderen Anbietern durchsetzen konnte. Damit wird dafür gesorgt, dass Anbieter im Rahmen einer Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags nur solche Preise anbieten dürfen, die sie auch sonst am Markt erzielen. Auf diese Weise wird überhöhten Preisangeboten entgegengewirkt.
Kann der Anbieter keinen Marktpreis nachweisen, darf er ausnahmsweise ein Angebot zu den angemessenen Selbstkosten plus eines zu vereinbarenden Gewinnaufschlages abgeben. Es ist Aufgabe der Preisbehörden der Länder (in Rh.-Pf.: Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion), die Einhaltung dieser Vorgaben zu überwachen.
2. Inhalt der Änderungen
Die nun ergangene „Dritte Verordnung zur Änderung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen“ wurde am 30. November 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl. I 2021 Nr. 80, S. 4986 v. 30. November 2021) und tritt zum 01. April 2022 in Kraft.
a. § 4 – Marktgängige Leistungen
Die Grundvorschrift der Verordnung, § 4 - Marktgängige Leistungen (Marktpreise), wurde neugestaltet und inhaltlich den Ausführungen dem Urteil des BVerwG vom 13.4.2016 - 8 C 2.15 angepasst.
- Zunächst wird der Begriff „Marktgängigkeit der Leistung“ legaldefiniert und klargestellt, dass marktgängig eine Leistung sein kann, die entweder auf dem „allgemeinen“ oder dem „besonderen“, durch Ausschreibung hergestellten Markt gehandelt (nachgefragt, angeboten und umgesetzt) wird.
- Das zweite notwendige Merkmal zum Marktpreisnachweis, die „Verkehrsüblichkeit des Preises“ für die nachgefragte Leistung wird „betriebssubjektiv“ nachgewiesen. Demnach ist der Preis verkehrsüblich, den das Unternehmen regelmäßig in tatsächlicher Konkurrenz zu anderen Unternehmen am Markt für die nachgefragte Leistung durchsetzen kann.
- Für den Fall des Nichtvorhandenseins eines verkehrsüblichen Preises am allgemeinen Markt wird für den besonderen Markt eine Vermutungsregel eingeführt. Es sollen, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren vorausgesetzt, mindestens zwei zuschlagsfähige Angebote ausreichen, um eine Verkehrsüblichkeit des angebotenen Preises zu vermuten. Die Vermutung ist widerlegbar. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die angebotenen Preise der Bieter ungewöhnlich weit auseinander liegen oder der Bieter nachweislich dieselbe Leistung in einer vergleichbaren Ausschreibung zu einem abweichenden Preis angeboten hat. Unternehmen sollten deshalb angebotene Preise intern auf geeignete Weise dokumentieren.
b. § 9 - Befugnisse der Preisbehörden
Als eine „Black box“ erweist sich die Neuregelung in § 9 bei den Befugnissen der Preisbehörden zur Preisprüfung öffentlicher Aufträge: Noch weiß niemand, was drinsteckt!
Mit der Neuregelung von § 9 werden die Befugnisse der Preisbehörden im Rahmen der Preisprüfung ausgeweitet. Gegen den „widerspenstigen Auftragnehmer“ hält die Verordnung in § 9 nun eine Schätzungsbefugnis bereit. Bei fehlender Mitwirkung oder des Nichtvorhandenseins von Nachweisen sollen die Preisbehörden nämlich befugt sein, die in der Vergütung enthaltenen Kosten zu dessen Lasten zu schätzen und ggf. auf „Null“ zu setzen. Eine solche Schätzung „ins Blaue hinein“ birgt jedoch erhebliche rechtliche Zweifel:
- Zunächst ist das Ergebnis einer Preisprüfung kein rechtsschutzfähiger Verwaltungsakt, sondern Ergebnis der preisrechtlichen Kontrolle auf Einhaltung der den Vertragspartnern durch die Verordnung auferlegten Pflichten bei der Preisvereinbarung. Eine Kontrolle, die eine Schätzung als Instrument nutzt, kann eher auf sachfremden als auf objektiven Kriterien beruhen. Dem setzt dann der fehlende Verwaltungsrechtsschutz „die Krone auf“.
- Im Weiteren dürften Zweifel bestehen, ob eine solche Schätzung dem Höchstpreisgrundsatz der Verordnung genügt, da die Schätzung zu Lasten des Auftragnehmers bis gegen „Null“ möglich ist. Der Höchstpreisgrundsatz der Verordnung besagt, dass der der „maximal“ angemessene Preis zulässig ist. Es geht also nicht darum, mittels einer Preisprüfung Preise zu „drücken“, sondern im Sinne der Marktwirtschaft zu ermitteln, was maximal beim Auftragnehmer „verbleiben“ darf. Erst der diese Grenze überschreitende Teil ist preisrechtlich nicht zulässig und nach § 134 BGB (Verstoß gegen ein Verbotsgesetz) nichtig und kann zu Rückforderungsansprüchen des öffentlichen Auftraggebers aus dem Institut der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) führen.
Eine Schätzung mit dem Ziel, den „Preis zu drücken“ widerspricht dem genannten Grundsatz. Dies wiederum wirkt sich nicht nur zu Lasten des Auftragnehmers, sondern wegen der Beweislast im Zivilprozess auch nachteilig auf u.U. entstehende zivilrechtliche Rückforderungsansprüche des öffentlichen Auftraggebers wegen unzulässiger Rückforderungen aus. Hier ist im Einzelfall eine sachkundige Rechtsauskunft empfehlenswert.
Beachtenswert ist ebenfalls die für die Preisprüfung geschaffene Möglichkeit, im Falle fehlender Gewinnvereinbarung bei Aufträgen zu Selbstkosten den Gewinn nach einem bestimmten Durchschnitt festlegen zu können. Auch insoweit stellt sich die Frage, ob behördlich festgelegte Gewinne einer rechtlichen Überprüfung standhalten können.
Bei weitergehenden Fragen sowie zu weiteren Themen steht Ihnen unser Kompetenzteam „Vergabe und Ausschreibung“ jederzeit gerne zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartner
Dr. Andreas Ziegler Hans-Peter Müller
Partner Dipl. Verwaltungswirt
Rechtsanwalt Wiss. Mitarbeiter
Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim für Vergaberecht