Bundesverfassungsgericht: Bundes-Klimaschutzgesetz teilweise verfassungswidrig

Mit seinem am 29.4.2021 veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Anlage 2 Bundes-Klimaschutzgesetz verfassungswidrig sind, soweit eine dem Verfassungsrecht genügende Regelung über die Fortschreibung von Minderungszielen nach 2030 fehlt. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2022 die Fortschreibung der Minderungsziele nach 2030 nach Maßgabe des Beschlusses  näher regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat damit mehreren Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben.

 

Internationaler Hintergrund

In dem Übereinkommen von Paris vom 12.12.2015 hat sich die Staatengemeinschaft darauf verständigt, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Um dieses Ziel zu erreichen sind die Vertragsparteien bestrebt, Treibhausgase zu reduzieren, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken herzustellen (Art. 4 Abs. 1 des Übereinkommens). Hierzu wurde das globale Emissionsbudget an Treibhausgasen ermittelt, das verbleibt, wenn die Temperaturbegrenzungen eingehalten werden sollen.

In einer im Jahre 2016 beschlossenen Langfriststrategie „Klimaschutzplan 2050“ hat die Bundesregierung die Minderung von Treibhausgasen in einzelnen Sektoren in Deutschland bis 2030 festgelegt und die Treibhausgasneutralität bis 2050 bekräftigt. Der Klimaschutzplan ist bei dem Sekretariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen hinterlegt. Die europäischen Minderungsziele und die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten der EU sind in der EU-Klimaschutzverordnung geregelt.

 

Bundes-Klimaschutzgesetz

Mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2513) sollen zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die nationalen Klimaschutzziele und die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben gewährleistet werden. Nach § 3 Abs. 1 KSG wird der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 schrittweise um mindestens 55% gegenüber 1990 reduziert. Hierzu werden Jahresemissionsmengen bis zum Jahr 2030 auf die Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft übertragen. Die Jahresemissionsmengen nach Anlage 2 zum KSG orientieren sich nach dem auf Deutschland entfallenden Anteil am globalen Emissionsbudget. Für die Einhaltung der Jahresemissionsmengen ist gemäß § 4 Abs. 4 KSG das Bundesressort verantwortlich, in dessen Geschäftsbereich der jeweilige Sektor fällt. § 4 Abs. 6 KSG ermächtigt die Bundesregierung, im Jahre 2025 durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages jährliche Emissionsmengen für die Zeit ab 2030 festzusetzen, um das Ziel der Treibhausneutralität bis 2050 zu erreichen.

 

Verfassungsbeschwerden

In mehreren Verfassungsbeschwerden wird geltend gemacht, die bis 2030 vorgesehenen Reduktionen von Treibhausgasen seien nicht ausreichend, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Mit den bis 2030 getroffenen Regelungen werde das Deutschland zustehende Restbudget an Emissionen übermäßig aufgezehrt, so dass anschließend nur noch mit außerordentlichen Anstrengungen weitere Reduktionen von Treibhausgasemissionen erreichbar seien. Die Beschwerdeführenden, darunter Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, sehen darin einen Verstoß insbesondere gegen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S.1 GG und der Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG, jeweils in Verbindung mit Art. 20a GG. Die Beschwerdeführenden sind zudem der Auffassung, der Gesetzgeber selbst hätte auch für die Zeit nach 2030 Reduktionsziele festlegen müssen, eine Übertragung dieser Aufgabe auf die Bundesregierung ohne konkrete Vorgaben verstoße gegen den Vorbehalt des Gesetzes.

 

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht prüft die gesetzlichen Regelungen zur Reduzierung der Emissionsmengen am Maßstab des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des Rechts auf Eigentum nach Art. 14 GG, jeweils ergänzt durch die Staatszielbestimmung Umweltschutz in Art. 20a GG. Es sieht in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern misst dem Grundrecht auch eine Schutzfunktion zu. Danach muss sich der Staat schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer bewahren. Diese Schutzpflicht umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Dies erfordert zum einen Maßnahmen, um die anthropogene Erderwärmung und den damit verbundenen Klimawandel zu begrenzen. Dass dies nur im internationalen Kontext gelingen kann, steht der Schutzpflicht nicht entgegen. Zum anderen muss dem Klimawandel durch Anpassungsmaßnahmen begegnet werden.

Eine entsprechende Schutzpflicht des Staates hinsichtlich von Gefahren des Klimawandels für das Eigentum lässt sich auch aus Art. 14 GG herleiten.

Bei der Frage, wie der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht nachkommt, steht ihm jedoch ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu, der verfassungsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Im Ergebnis sieht das Bundesverfassungsgericht in dem Schutzkonzept bis 2030 aus Emissionsminderungen und Anpassungsmaßnahmen keinen Verstoß gegen Grundrechte der Beschwerdeführenden.

Das Bundesverfassungsgericht macht allerdings deutlich, dass Emissionen nach dem derzeitigen Kenntnisstand irreversibel zur Erderwärmung beitragen und der Gesetzgeber diese Entwicklung nicht tatenlos hinnehmen darf. Vor diesem Hintergrund entsteht eine Gefährdung der Freiheitsrechte. Werden bis 2030 große Emissionsmengen zugelassen, müssen die anschließend notwendigen  Reduktionen nämlich drastischer ausfallen. Damit verringert sich auch die verbleibende Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen zur Umstellung auf klimaneutrale Verhaltensweisen und die Möglichkeiten der Freiheitsbetätigung nehmen entsprechend ab. Das Bundesverfassungsgericht entnimmt dem Grundgesetz deshalb die Verpflichtung zu einer intertemporalen Freiheitssicherung der Grundrechte. Danach schützen die Freiheitsgrundrechte vor einer Verlagerung der aus Artikel 20a GG resultierenden Treibhausminderungspflicht in die Zukunft.  

Diese grundrechtsrelevante Vorwirkung der §§ 3 und 4 KSG auf die allgemeine Handlungsfreiheit lässt sich nur rechtfertigen, wenn das Klimaschutzgesetz den Verfassungsgrundsätzen des Grundgesetzes entspricht und das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachtet.

Verfassungsrechtliche Vorgabe für Klimaschutz ist die Staatszielbestimmung in Art. 20a GG, die auch die natürlichen Lebensgrundlagen der zukünftigen Generationen in den Blick nimmt. Diese Vorgabe wird durch den Rückgriff des Gesetzgebers auf das Übereinkommen von Paris ausreichend konkretisiert. Dabei müssen wissenschaftliche Ungewissheiten über die Höhe des den Zielen korrespondierenden nationalen Emissionsbudgets besonders berücksichtigt werden, um einen Abstand zu möglichen irreversiblen Beeinträchtigungen zu halten. Ein Verstoß des Gesetzgebers gegen Sorgfaltspflichten ist insoweit jedoch nicht festzustellen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet, die verfassungsrechtlich notwendigen Emissionsreduktionen bis zur Klimaneutralität so zu gestalten, dass Reduktionslasten über die Zeit und über Generationen gerecht verteilt werden und damit verbundene Freiheitseinbußen auch weiterhin zumutbar ausfallen. Die Schonung der zukünftigen Freiheit verlangt daher, den Übergang in die Klimaneutralität rechtzeig einzuleiten. Deshalb muss der Gesetzgeber schon heute Reduktionsmaßnahmen festlegen, die eine inhaltliche Orientierung für erforderliche Entwicklungsprozesse  über das Jahr 2030 hinaus bieten. Die Regelung in § 4 Abs. 6 KSG, wonach in 2025 durch Rechtsverordnung der Bundesregierung weitere Festlegungen erfolgen sollen, ist hierfür verfassungsrechtlich unzureichend. Eine Festlegung müsste zudem früher und in zeitlichen Abständen erfolgen, damit der weitere Reduktionspfad rechtzeitig erkennbar wird.

 

Bedeutung der Entscheidung 

Das Bundesverfassungsgericht setzt sich mit dem Klimaschutz umfassend auseinander.  Es stellt klar, dass die Grundrechte und das Staatsziel Umweltschutz den Staat zum Klimaschutz verpflichten, um mögliche irreversible Beeinträchtigungen durch Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Dass es sich dabei um eine internationale Herausforderung handelt, steht dem nicht entgegen. Der Übergang zur Klimaneutralität stellt eine langfristige Aufgabe dar, die zu Einschränkungen von Freiheitsrechte führen kann. Die Freiheitsgrundrechte enthalten eine intertemporale Freiheitssicherung, um Belastungen generationenübergreifend gerecht zu verteilen. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, bis Ende 2022 entsprechende Konkretisierungen der Reduktionen nach 2030 zu regeln. Er kann diese Regelungen selbst treffen oder die Bundesregierung durch eine hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG hierzu ermächtigen.

Die Entscheidung findet zurecht große Beachtung in der Öffentlichkeit und in der Politik. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, dem Bundestag in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen. Hierbei sollen offenbar auch die Höhe der Reduktionen bis 2030 überprüft und verringert werden. Ob das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann oder der Diskontinuität unterfällt, ist derzeit nicht absehbar.

Es ist zu erwarten, dass die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts über die Novellierung des Bundes-Klimaschutzgesetzes hinaus auf weitere Gesetzgebungsvorhaben des Bundes und der Länder mit Auswirkungen auf Emissionen und Abbau von Treibhausgasen ausstrahlen werden. Auch die Ausgestaltung von Förderprogrammen wird sich an der Entscheidung messen lassen müssen. Angesprochen sind eine Vielzahl von Möglichkeiten der Minderung und des Abbaus von Treibhausgasemissionen z.B. durch erneuerbare Energien, Energieeffizienz, neue Technologie und Renaturierungen. Und nicht zuletzt wird die Sensibilisierung der Öffentlichkeit dem Thema weitere Dynamik geben.


Gerne berät Sie zu den Auswirkungen der Entscheidung unser Kompetenzteam "Staat und Verwaltung".  


Ihr Ansprechpartner:

Gundolf Schrenk
Rechtsanwalt
Leitender Ministerialrat a.D.