Am 28.06.2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz („BFSG“) neben der Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen („BFSGV“) in Kraft und setzt die Richtlinie (EU) 2019/882 vom 17.04.2019 in innerstaatliches Recht um.
I. Hintergrund
Das BFSG zielt darauf ab, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern, insbesondere ihr Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft zu stärken, indem es vorgibt, dass bestimme Produkte und Dienstleistungen in Zukunft barrierefrei angeboten werden müssen.
Neben dem BFSG enthält auch das Behindertengleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2002 sowie die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung Regelungen zur Barrierefreiheit von (digitalen) Informationen und Dienstleistungen. Diese Bestimmungen richten sich allerdings bis dato grundsätzlich nur an öffentliche Stellen. Das BFSG nimmt nun auch private Wirtschaftsakteure, d.h. Hersteller, Einführer, Händler, Bevollmächtigte und Dienstleistungserbringer beim Thema Barrierefreiheit in die Pflicht.
II. Anwendungsbereich; Ausnahmen; Barrierefreiheitsanforderungen; Übergangsfrist
1. Anwendungsbereich
Das BFSG verpflichtet Hersteller, Einführer, Händler, Bevollmächtigte oder Dienstleistungserbringer dazu, die im Gesetz abschließend genannten Produkte und Dienstleistungen künftig barrierefrei anzubieten und barrierefrei zu gestalten. Zusätzlich müssen bestimmte weitere Pflichten, insbesondere Informationspflichten von den jeweiligen Wirtschaftsakteuren erfüllt werden.
Nach § 1 Abs. 2 BFSG sind vom Anwendungsbereich des Gesetzes folgende Produkte betroffen, die nach dem 28.Juni.2025 in den Verkehr gebracht werden:
- Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher einschließlich der für diese bestimmte Betriebssysteme (dazu zählen Personal Computer, Desktops, Notebooks, Tablets und Smartphones);
- bestimmte im BFSG genannte Selbstbedienungsterminals (z.B. Zahlungsterminals);
- bestimmte im BFSG genannte Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang;
- sowie E-Book-Lesegeräte
§ 1 Abs. 3 BFSG erfasst überdies bestimmte Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden, u.a.
- Telekommunikationsdienste (mit Ausnahme von Übertragungsdiensten zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation);
- im BFSG genannte Elemente von Personenbeförderungsdiensten in bestimmten im BFSG genannten Verkehrsbereichen;
- Bankdienstleistungen für Verbraucher;
- E-Books nebst hierfür bestimmter Software und
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Ein wichtiger Anwendungsfall des neuen Gesetzes, der viele Unternehmen betrifft, sind Webseiten und Apps, wenn diese „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr beinhalten“. Dabei handelt es sich um Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden.
Damit ist fast der gesamte Bereich des Online-Verkaufs / E-Commerce im B2C-Bereich betroffen, was den Anwendungsbereich des Gesetzes erheblich ausweitet und dazu führt, dass jedenfalls Webseiten und Apps, auf denen Produkte oder Dienstleistungen von Verbrauchern bestellt bzw. gebucht werden können, nunmehr barrierefrei gestaltet werden müssen. Dies gilt jedenfalls für die Teile der Webseite/Apps, die den Vertragsschluss mit Verbrauchern betreffen, was aber in den meisten Fällen die gesamte Webseite betreffen dürfte.
2. Ausnahmen
Nach § 3 Abs. 3 BFSG gelten die Barrierefreiheitsanforderungen nicht für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen. Dies sind Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft.
§ 1 Abs. 4 BFSG nimmt zudem bestimmte Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen aus, wie:
- aufgezeichnete zeitbasierte Medien,die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden, d.h. nach Art. 3 Nr. 6 RL (EU) 2016/2102 jede Form von Audio- und/oder Videoaufnahmen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden;
- Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden. Darunter sind nach Erwägungsgrund 26 RL (EU) 2016/2102 Dokumente zu verstehen, die nicht primär für die Verwendung im Internet gedacht sind und die in Webseiten enthalten sind, wie z.B. PDF-Dateien, die vor dem 28.06.2025 in die Webseite eingepflegt worden sind;
- Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen barrierefrei zugänglich in digitaler Form bereitgestellt werden;
- Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert noch entwickelt werden noch dessen Kontrolle unterliegen;
- Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, da ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden
Weitere Einzelausnahmen gelten dann, wenn:
- die Einhaltung bestimmter Barrierefreiheitsanforderungen zu einer grundlegenden Veränderung des Produkts oder der Dienstleistung führt (§ 16 BFSG);
- die Einhaltung bestimmter Barrierefreiheitsanforderungen zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Wirtschaftsakteurs führt (§ 17 BFSG). Dabei enthält Anlage 4 des BFSG Kriterien für die Beurteilung, ob eine unverhältnismäßige Belastung vorliegt.
Die Bewertung, ob die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände nach §§ 16, 17 BFSG in Bezug auf bestimmte Barrierefreiheitsanforderungen vorliegen, obliegt dem Wirtschaftsakteur selbst; ihn treffen insofern aber Dokumentations- und Unterrichtungspflichten.
3. Barrierefreiheitsanforderungen
§ 3 Abs. 1 S. 2 BFSG legt fest, dass Produkte und Dienstleistungen barrierefrei sind, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe, auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.
Die Barrierefreiheitsanforderungen werden durch die Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen weiter konkretisiert. Die Verordnung enthält sowohl allgemeine Anforderungen als auch zusätzliche (branchenspezifische) Anforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen.
Bei der Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen kann sich teilweise an harmonisierten europäischen Normen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, sowie technischen Spezifikationen orientiert werden (§§ 4,5 BFSG). Nach § 3 BFSGV muss grundsätzlich der Stand der Technik bei der Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen beachtet werden. Die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit veröffentlicht (künftig) regelmäßig auf ihrer Webseite eine Auflistung der wichtigsten zu beachtenden Standards, Konformitätstabellen sowie aktuelle Informationen zu den maßgeblichen Standards, um die Wirtschaftsakteure bei der Umsetzung des Gesetzes und der Verordnung zu unterstützen.
Neben der Pflicht zur Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen treffen die Wirtschaftsakteure nach dem BFSG noch weitere Pflichten, insbesondere Informationspflichten.
4. Übergangsfrist
Grundsätzlich müssen die gesetzlichen Anforderungen bis zum 28.06.2025 umgesetzt werden. § 38 BFSG enthält nur für bestimmte Fälle Übergangsfristen:
- Dienstleistungserbringer können bis zum 27.06.2030 ihre Dienstleistungen weiter unter Einsatz von Produkten erbringen, die von ihnen bereits vor dem 28.06.2025 zur Erbringung dieser oder ähnlicher Dienstleistungen rechtmäßig eingesetzt wurden.
- Vor dem 28. Juni 2025 geschlossene Verträge über Dienstleistungen dürfen bis zu dem Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen sind, längstens jedoch bis zum 27.06.2030 unverändert fortbestehen.
- Selbstbedienungsterminals, die von den Dienstleistungserbringern vor dem 28.06.2025 zur Erbringung von Dienstleistungen unter Einhaltung der geltenden gesetzlichen Regelungen eingesetzt werden, dürfen bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, jedoch nicht länger als fünfzehn Jahre nach ihrer Ingebrauchnahme, weiter zur Erbringung vergleichbarer Dienstleistungen eingesetzt werden.
III. Praxishinweise
Sowohl das BFSG als auch die BFSGV enthalten eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die bei den Wirtschaftsakteuren zu Schwierigkeiten und Fragen bei der Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen und der weiteren (Informations-) Pflichten führen, was den Umsetzungsprozess innerhalb der betroffenen Unternehmen verzögert.
Für Hersteller, Einführer, Händler, Bevollmächtigte und Dienstleistungserbringer ist es wichtig, dass sie jetzt klären, ob sie durch ihre Produkte oder Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des BFSG fallen und sie dessen Barrierefreiheitsanforderungen und weiteren Pflichten, insbesondere Informationspflichten treffen.
Dies sollte spätestens jetzt erfolgen, da das BFSG und die BFSGV bereits am 28.06.2025 in Kraft treten und die Umsetzung des BFSG für die meisten Unternehmen einen erheblichen Verwaltungsaufwand bedeutet. In den oben aufgeführten Fällen gilt eine Übergangsfrist bis zum 27.06.2030.
Zu beachten ist, dass den Marktüberwachungsbehörden ein vielfältiger Maßnahmenkatalog zur Verfügung steht, um die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen sicherzustellen. Verstöße gegen die Verpflichtungen des BFSG können mit empfindlichen Sanktionen wie Bußgeldern geahndet werden. Darüber hinaus drohen Abmahnungen von Verbraucherschutzverbänden und Mitbewerbern, was eine Klärung der BFSG-Betroffenheit der einzelnen Wirtschaftsakteure sowie die fristgerechte Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen umso wichtiger macht.
Bei Fragen rund um das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und die dazugehörige Verordnung, insbesondere Ihre eigene BFSG-Betroffenheit, einschlägige Ausnahmen sowie die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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