Lieferengpässe oder Preisänderungen bei Baumaterial - Handlungsoptionen der öffentlichen Hand und für Bieter

Wie sich die öffentliche Hand und Bieter auf solche Situationen einstellen oder entsprechende Entwicklungen voraussehen können

Auf die Berichte über die Verknappung verschiedener Baustoffe und damit verbundene erhebliche Preissteigerungen hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) mit dem Erlass bzgl. „Lieferengpässe und Stoffpreisänderungen verschiedener Baustoffe“ vom 21.5.2021 reagiert. Besonders betroffen sind die Baustoffe Holz, Stahl sowie einige Kunststoffe.

In dem Erlass weist das BMI auf die im Vergabehandbuch für Baumaßnahmen des Bundes (VHB Bund) vorgesehenen Stoffpreisgleitklauseln hin (Formblatt 225 und dazu ergangene Richtlinien mit Erläuterungen), die bisher bei schwankenden Stahlpreisen zum Einsatz gekommen sind. Deren Einsatz ist aber nicht auf Stahl beschränkt. Die Klauseln können vielmehr auch auf andere Stoffe angewendet werden, soweit das Güterverzeichnis des Statistischen Bundesamtes für das entsprechende Baumaterial Indizes vorsieht.

Neue Vergabeverfahren

Vor der Einleitung neuer Verfahren ist im Einklang mit der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln vorliegen. Das Augenmerk soll bei der Prüfung auf den oben genannten Indizes des Statistischen Bundesamtes liegen, die insofern eine Indizwirkung entfalten und Rückschlüsse auf das Wagnis der Bieter zulassen. Die Verfolgung der Preisentwicklung ist so auch für Bieter möglich und interessant. Neben der Vereinbarung der Gleitklausel sollen die Vertragsfristen unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände angepasst und Vertragsstrafen (hier: insbesondere Strafen für Verzug) nur ausnahmsweise vereinbart werden.

Laufende Verfahren

In laufenden Verfahren können vor Angebotsöffnung auch nachträglich noch die genannten Fristanpassungen oder Stoffpreisgleitklauseln einbezogen werden. Bei Bedarf sind aber dann die Verfahrensfristen anzupassen. In die Erwägungen sind eventuelle Bieteranfragen miteinzubeziehen. Hierdurch entsteht auch für Bieter die Chance, ihre besondere Marktkenntnis angemessen in das Verfahren einzubringen. Ablehnende Entscheidungen durch die Vergabestelle sind im Vergabevermerk aufzunehmen.

Nach Angebotsöffnung ist zu prüfen, ob zugunsten des Wettbewerbs und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten eine Zurückversetzung des Verfahrens erforderlich ist. Übergeordnetes Ziel sei, so das BMI, aber weiterhin die Einhaltung der zugesagten Fertigstellungs- oder Übergabetermine.

Bestehende Verträge

Da bestehende Verträge einzuhalten sind, soll nur in Ausnahmefällen eine Vertragsanpassung unter Berücksichtigung von § 58 BHO in Verbindung mit der dazu ergangenen VV-BHO in Betracht kommen. In noch selteneren Fällen kann dem Auftragnehmer ein Recht auf Vertragsänderung oder -aufhebung aus § 313 Abs. 1 BGB (wegen Störung der Geschäftsgrundlage) zustehen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind allerdings vom Auftragnehmer nachzuweisen.

Grundsätzlich kommt auch eine Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB in Betracht, letztlich für beide Seiten. Der Kündigungstatbestand setzt voraus, dass sich "Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert" haben und dass dem Auftragnehmer das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Die Hürden sind aber höher als bei einem Anpassungsanspruch und setzen in der Regel zunächst erfolglose Anspassungsbemühungen voraus.

Darüber hinaus können auch Ausführungsfristen gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B zu verlängern sein, wenn es dem Auftragnehmer selbst unter Zahlung höherer Einkaufspreise unmöglich ist, die erforderlichen Materialien zu beschaffen und somit ein Fall der höheren Gewalt (z. B. COVID-19-Pandemie) oder anderer für den Auftragnehmer unabwendbarer Umstände im Sinne der Vorschrift vorliegt. Die Beweispflicht obliegt dabei der Partei, zu deren Gunsten die Vorschrift angewendet wird.

Aus vergaberechtlicher Sicht – auf die der Erlass nicht eingeht – wäre eine Auftragsänderung nach Zuschlag zudem an den Maßstäben des § 132 GWB zu messen. Da die Änderung der Vergütung in jedem Fall als eine wesentliche Änderung i.S.v. § 132 Abs. 1 GWB einzustufen ist, ist sie nur in den Fällen des § 132 Abs. 2 oder Abs. 3 GWB zulässig und erfordert im Falle des § 132 Abs. 2 GWB teilweise sogar eine Bekanntmachung im EU-Amtsblatt.

Bei Fragen berät Sie unser Kompetenzteam „Vergabe und Ausschreibung“ gerne. Ihre Ansprechpartnerin:

Katharina Strauß
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Vergaberecht
Fachanwältin für Verwaltungsrecht