Virtuelle Hauptversammlung bei Aktiengesellschaften und Genossenschaften – Neuregelung seit dem 27.08.2022 und Virtuelle Gesellschafterversammlung in der GmbH – Neuregelung im GmbHG seit dem 01.08.2022
1. Neuregelungen für Aktiengesellschaften
Das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften ist am 27. Juli 2022 in Kraft getreten.
a) Voraussetzung für die virtuelle Hauptversammlung ist nach dem verabschiedeten Gesetz eine Satzungsregelung – als direkte Regelung oder als Ermächtigung an den Vorstand –, die spätestens nach fünf Jahren zu erneuern ist. Für einen Übergangszeitraum bis einschließlich 31. August 2023 kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats eine virtuelle Hauptversammlung auch ohne Satzungsermächtigung einberufen.
b) Den Aktionären muss ermöglicht werden, während der virtuellen Hauptversammlung Anträge zu stellen sowie Widerspruch gegen gefasste Beschlüsse zu erheben. Davon sind neben Verfahrensanträgen auch Gegenanträge und Wahlvorschläge erfasst. Anträge dürfen ausschließlich im Wege der Videokommunikation gestellt werden. Im Vorfeld der virtuellen Hauptversammlung eingereichte und von der Gesellschaft zugänglich zu machende Gegenanträge oder Wahlvorschläge gelten als im Zeitpunkt der Zugänglichmachung gestellt (sog. Fiktionslösung). Sofern der antragsstellende Aktionär nicht ordnungsgemäß legitimiert und, sofern eine Anmeldung erforderlich ist, nicht ordnungsgemäß angemeldet ist, muss der Antrag in der Versammlung nicht behandelt werden.
c) Der Vorstand kann nach dem neuen Gesetz vorgeben, dass Aktionärsfragen bis spätestens drei Tage vor dem Versammlungstermin einzureichen sind. Dann hat die Gesellschaft diese Fragen aber auch bis spätestens einen Tag vor der Versammlung zu beantworten und die Fragen und die Antworten auf der Internetseite zu veröffentlichen. Im Gegenzug muss in der Versammlung selbst dazu keine Auskunft mehr gegeben werden. In der Hauptversammlung müssen nur Nachfragen zu den bereits im Vorfeld gegebenen Antworten und Fragen zu neuen Sachverhalten beantwortet werden.
d) Das Fragerecht in der Versammlung kann auf die Videokommunikation und auf einen angemessenen Umfang beschränkt werden. Außerdem ist der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt konsequenterweise auch nur dann zu veröffentlichen, wenn auch eine Vorabeinreichung von Fragen der Aktionäre vorgesehen ist.
e) Auch das Rederecht ist in der Versammlung über Videokommunikation zu gewähren. Dabei dürfen neben Auskunftsverlangen und Nachfragen auch Anträge und Wahlvorschläge Bestandteil des Redebeitrags sein. Die Gesellschaft kann sich eine Funktionsfähigkeitsprüfung der Videokommunikation des Aktionärs vorbehalten, um einen technisch möglichst reibungslosen Ablauf der Hauptversammlung zu gewährleisten. Außerdem soll das Live-Rederecht durch einen „virtuellen Wortmeldetisch“ abgewickelt werden.
f) Schließlich erhalten die Aktionäre bis spätestens fünf Tage vor der virtuellen Hauptversammlung das Recht, Stellungnahmen zu Gegenständen der Tagesordnung einzureichen, die dann bis spätestens vier Tage vor Versammlung zugänglich zu machen sind. Der Umfang der Stellungnahmen kann angemessen auf eine bestimmte Zeichen- oder Minutenanzahl beschränkt werden. Die Ausgestaltung wird den Gesellschaften überlassen; denkbar sind hier Stellungnahmen in Text- oder Videoform. Das neue Gesetz sieht darüber hinaus vor, dass das Recht zur Stellungnahme auf ordnungsgemäß zur Hauptversammlung angemeldete Aktionäre beschränkt werden kann und dass solche Stellungnahmen dann auch nur für diesen Personenkreis zugänglich gemacht werden müssen.
g) Unverändert ist für die virtuelle Hauptversammlung weiterhin vorgesehen, dass alle Mitglieder des Vorstands und grundsätzlich auch alle Mitglieder des Aufsichtsrats am Ort der Hauptversammlung anwesend sein sollen. Für die Mitglieder des Aufsichtsrats ist bei entsprechender Satzungsregelung auch eine Zuschaltung im Wege der Bild- und Tonübertragung zulässig.
h) Für Genossenschaften ist in § 43b zu den „Formen der Generalversammlung“ neu geregelt worden, dass die General- oder Vertreterversammlung
- als Präsenzversammlung an einem Ort, an dem die Mitglieder gemeinsam physisch anwesend sind,
- als virtuelle Versammlung ohne gemeinsame physische Anwesenheit der Mitglieder an einem Ort,
- als hybride Versammlung, an der die Mitglieder wahlweise am Ort der Versammlung physisch anwesend oder ohne physische Anwesenheit an diesem Ort teilnehmen können,
- als Versammlung im gestreckten Verfahren, aufgespalten in (1.) eine Erörterungsphase, die abgehalten wird als virtuelle Versammlung oder als hybride Versammlung und (2.) eine zeitlich nachgelagerte Abstimmungsphase.
abgehalten werden kann. Weitere Details ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz. Viele Satzungen waren bereits in den letzten zwei Jahren entsprechend geändert worden.
2. Neuregelungen für die GmbH
Mit den Erfahrungen der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber auch für die GmbH gehandelt und mit dem „Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie“ (DiREG) auch für die GmbH eine gesetzliche Regelung geschaffen. § 48 Abs. 1 GmbHG wurde zum 1. August 2022 um einen Satz ergänzt. Danach können Gesellschafterversammlungen auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären.
Damit hat der Gesetzgeber jetzt grundsätzlich die virtuelle Gesellschafterversammlung für die GmbH eröffnet, diese aber an das schon aus dem Umlaufverfahren bekannte Einstimmigkeitserfordernis geknüpft. Damit kann schon ein einzelner Gesellschafter diese Form der Gesellschafterversammlung verhindern.
Um solche Situationen zu vermeiden, sollte die Möglichkeit virtueller oder teilvirtueller Versammlungen in der Satzung der GmbH explicit geregelt werden.
Denn die gesetzlichen Regelungen in § 48 Abs. 1 und Abs. 2 GmbHG stehen unter dem Vorbehalt abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelungen, § 45 Abs. 2 GmbHG. Ausgenommen sind nur bestimmte Sachverhalte, wie etwa umwandlungsrechtliche Maßnahmen, für die die Durchführung einer physischen Gesellschafterversammlung noch zwingend vorgeschrieben ist.
Etwaige Mehrheitserfordernisse für die Einführung von virtuellen oder teilvirtuellen Versammlungen richten sich nach der konkreten Ausgestaltung der Regelung und vor allem dem Zeitpunkt ihrer Einführung:
- Die Entscheidung, auf physische Gesellschafterversammlungen gänzlich zu verzichten, wo diese nicht zwingend sind, kann bei Gründung der GmbH vorgesehen werden.
- Eine spätere Einführung einer solchen Regelung erfordert nach h.M. zumindest die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter.
- Virtuelle oder teilvirtuelle Gesellschafterversammlungen als gleichwertige Alternative zur physischen Gesellschafterversammlung können mit satzungsändernder Mehrheit anstatt Einstimmigkeit eingeführt werden, soweit man auf die komplett virtuelle Gesellschafterversammlung als mögliche Gestaltungsalternative verzichtet.
Eine förmliche Feststellung der gefassten Beschlüsse ist im GmbH-Gesetz nicht vorgeschrieben; deren Protokollierung nur in Ausnahmefällen Wirksamkeitsvoraussetzung. Dennoch sollte beides aus Gründen der Rechtssicherheit bei der Ausgestaltung der gesellschaftsvertraglichen Regelung vorgesehen werden.
Weiterhin empfiehlt es sich, eine angemessene Frist für die Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse einzuführen, nach deren Ablauf etwaige Beschlussmängel als geheilt gelten.
Entsprechend § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG, dessen analoge Anwendung auf die Gesellschafterversammlung der GmbH zweifelhaft ist, sollte schließlich daran gedacht werden, eine Anfechtung dann auszuschließen, wenn diese auf durch technische Mängel verursachte Verletzung von Rechten gestützt wird und weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit von Seiten der Gesellschaft im Spiel sind.
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