OLG Hamm zur Haftung des Frachtführers wegen Kontamination tiefgekühlter Backwaren während des Transports

Anmerkung zur Entscheidung des OLG Hamm vom 20.12.2021, Az. 18 U 46/17

In seinem Urteil vom 20.12.2021 befasste sich das OLG Hamm (Az. 18 U 46/17; LG Bielefeld, Urteil vom 21.02.2017, Az. 10 O 3/16) mit der Haftung des Frachtführers eines internationalen Straßengütertransportes wegen Geruchs- und Geschmackskontamination tiefgekühlter Backwaren.

Der Senat entschied zutreffend – dazu nachstehend –, dass ein zum Haftungsausschluss führender Verpackungsmangel nach Art. 17 Abs. 2 CMR i.V.m. Art. 17 Abs. 4 b) CMR dann nicht vorliege, wenn die transportierten und verpackten Lebensmittel gemeinsam mit einer stark riechenden Chemikalie transportiert werden und es deswegen zu einer Geruchs- und Geschmackskontamination der transportierten Lebensmittel und ihrer Verpackung kommt. Denn das Gut müsse nur so verpackt sein, dass es bei einem vertragsgerecht durchgeführten Transport den üblicherweise zu erwartenden äußeren Einwirkungen standzuhalten vermag.

Darüber hinaus falle dem Frachtführer oder einer „sonstigen Person“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 CMR ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden zur Last, wenn er bzw. sie trotz Wahrnehmung des Geruchs eine stark riechende Chemikalie gemeinsam mit Lebensmitteln transportiert oder den Transport zulässt, ohne sich vorher sachkundig über die Auswirkungen des Geruchs auf die Lebensmittel zu informieren. Eine bloße Anfrage bei dem den Chemikalientransport organisierenden Speditionsunternehmen ohne Darstellung des vollen Sachverhalts, insbesondere dass Lebensmittel mittransportiert werden, reiche nicht aus.


Im Einzelnen:

 

I. Tiefgekühlte Croissants treffen auf THT

Bei den in einem Kühl-Auflieger geladenen Backwaren handelte es sich um tiefgekühlte Schinkencroissants. Der vom beklagten Haupt-Frachtführer beauftragte Unter-Frachtführer (Streithelferin) lud unter Verstoß gegen ein Zuladungsverbot einen IBC-Container mit der Chemikalie Tetrahydrothiophen („THT“) in den abgetrennten hinteren Bereich des Aufliegers. Bei THT handelt es sich um einen stark riechenden Geruchstoff zur Markierung von Erdgas, der zur Geruchskontamination und nicht auszuschließender Gesundheitsgefährdung bei den Lebensmitteln und zum Totalschaden führte.

Die Schinkencroissants waren jeweils zu fünft in Pappkartons eingepackt, wobei sie nicht von einer PE-Folie umgeben waren; auch der Pappkarton war nicht von einer PE-Folie umgeben. Die Pappkartons waren in größeren Kartons zusammengefasst und wiederum mit einer Stretchfolie überzogen. 

 

II. Die transportrechtliche Einordnung durch das OLG Hamm

Der Senat führte aus, dass die Haftungsbefreiung nach Art. 17 Abs. 2 CMR i.V.m. Art. 17 Abs. 4b) CMR voraussetze, dass der Schaden, erstens, ausschließlich durch Fehlen oder Mängel der Verpackung entstanden ist und, zweitens, die Güter ihrer Natur nach bei fehlender oder mangelhafter Verpackung Verlusten oder Beschädigungen ausgesetzt sind.

Dabei habe der sich auf den Haftungsausschluss berufende Frachtführer zu beweisen, dass die Güter, erstens, verpackungsbedürftig waren und, zweitens, eine ausreichende Verpackung gefehlt hat.[1]

Ein zum Haftungsausschluss führender Verpackungsmangel liege nur dann vor, wenn das Gut nicht so verpackt war, dass es den bei einem vertragsgerecht durchgeführten Transport üblicherweise zu erwartenden äußeren Einwirkungen standzuhalten vermochte.[2] Dieser Vorgabe habe die gewählte Verpackung entsprochen.

Die gewählte Verpackung sei geeignet, um die transportierten Waren vor den üblicherweise zu erwartenden Einwirkungen zu schützen. Die Verpackung sei in der Form beanspruchungsgerecht gewesen und habe bei einem üblichen Transport Schäden von den transportierten Lebensmitteln abhalten können. Die Kontamination und damit die vollständige Beschädigung der Schinkencroissants sei alleine auf die unsachgemäße Zuladung der stark riechenden Chemikalie THT zurückzuführen.

Nicht durchdringen konnte nach Ansicht des Senats das Argument des beklagten Haupt-Frachtführers, eine weitere PE-Folie – um die Schinkencroissants selbst oder um die Pappkartons angebracht – sei erforderlich gewesen, weil sie eine Kontamination verhindert hätte.

Denn selbst wenn man einen solchen Schutz der PE-Folie zugestehen würde, so ergebe sich daraus nach Ansicht des Senats nicht die Verpflichtung für den Auftraggeber, diese zu verwenden. Denn eine Verpackung müsse nur vor den üblicherweise zu erwartenden Einwirkungen schützen, nicht hingegen vor jeder potentiellen Einwirkung.

Schon der gesunde Menschenverstand verbiete einen gemeinsamen Transport von Lebensmitteln mit einer solch stark riechenden Chemikalie wie THT. Insoweit könne der gemeinsame Transport schon nicht als üblich angesehen werden, sodass die von der Auftraggeberin gewählte Verpackung vor der eingetretenen Kontamination nicht habe schützen müssen.

Der Unter-Frachtführer und der beklagte Haupt-Frachtführer könnten auch nicht mit ihrer Einwendung durchdringen, die gewählte Verpackung verstoße gegen § 4 TLMV, wonach tiefgefrorene Lebensmittel, die zur Abgabe an Verbraucher bestimmt sind, in Verpackungen in den Verkehr zu bringen seien, die das Lebensmittel vor Austrocknung sowie vor Befall durch Mikroorganismen und anderen nachteiligen Beeinflussungen von außen schützen.

Der Senat vertritt unter Berufung auf sachverständige Feststellungen die Auffassung, dass die verwendeten Schachteln aus Pappe bei Tiefkühlkost gemäß § 4 TLMV einen Schutz gegen Kontamination von außen darstellen und auch vor mikrobiellem Befall schützen. Eine Verpackung mit PE-Folie sei nicht erforderlich und auch nicht vorgeschrieben.

Im Übrigen wäre es auch im Falle der Verwendung einer PE-Folie zu einer Kontamination der Waren gekommen. Beim Öffnen der Folie hätten die Geruchsmoleküle an den jeweiligen Kartons gehaftet, da sich die Geruchsmoleküle ohnehin an der Folie befunden hätten und in der Luft gewesen wären. Dabei könne es nach Auffassung des Senats auch dahingestellt bleiben, ob dann nur die Pappkartons oder auch die Schinkencroissants an sich von dem Geruch betroffen gewesen wären, da selbst bei einer Kontamination der Pappkartons die transportierten Waren nicht mehr verkaufsfähig gewesen wären.

Aber selbst wenn man eine mangelhafte Verpackung annehmen wollte, könne sich der beklagte Haupt-Frachtführer nicht auf die Haftungsprivilegierung des Art. 17 Abs. 2 CMR berufen. Denn dem ausführenden Unter-Frachtführer, einer „sonstigen Person“ im Sinne des Art. 29 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 CMR, deren sich der Beklagte bei Ausführung der Beförderung bedient habe, falle in Ausübung der Verrichtung des Unter-Frachtführers – im Zuge des Transportes – Vorsatz oder ein dem Vorsatz gleichstehendes Verschulden zur Last.[3]

Ein dem Vorsatz funktional gleichwertiger Verstoß liege dem Senat zufolge dann vor, wenn dieser leichtfertig in dem Bewusstsein begangen wird, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.[4] Ein leichtfertiges Verhalten liege nur bei besonders schweren Pflichtverstößen vor, bei denen sich der Frachtführer oder seine Leute im Sinne von § 428 HGB in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen seines Vertragspartners hinwegsetzen.

Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sei eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dies sei dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertige.[5]

Der Disponent des Unter-Frachtführers habe einen solchen besonders schwerwiegenden Pflichtverstoß verwirklicht. Ihm habe sich die Erkenntnis aufdrängen müssen, es werde ein Schaden an dem Transportgut entstehen. Denn er habe bereits vor der Zuladung bei Betreten des Lagers, in dem sich der mit der Chemikalie gefüllte IBC-Container befand, einen deutlichen Gasgeruch wahrgenommen. Gleichwohl habe er oder ein sonstiger Mitarbeiter des Unter-Frachtführers nichts unternommen, um die nachfolgende Zuladung zu verhindern. Vielmehr habe er sich auf die Angaben eines Mitarbeiters der Gesellschaft verlassen, die den Transport beauftragt hatte. Er wäre stattdessen gehalten gewesen, bei der Feststellung des Geruchs eine Zuladung zu unterbinden und stattdessen sachverständige Hilfe zurate zu ziehen.

Eine bloße Anfrage bei dem Auftraggeber sei insoweit nicht ausreichend gewesen. Zum einen habe der Disponent dabei schon nicht mitgeteilt, dass eine Zuladung zu Lebensmitteln erfolgen sollte. Darüber hinaus hätte sich ihm aufdrängen müssen, dass der Disponent des Auftraggebers, eines Speditionsunternehmens, selbst nicht in der Lage ist, eine sachkundige Auskunft zu der Frage zu erteilen, wie eine stark riechende Chemikalie sich auf die mittransportierten Lebensmittel auswirkt.

Die Geruchsbelastung durch die Chemikalie THT sei indes als derart stark beschrieben worden, dass jeder Frachtführer intuitiv davon abgesehen hätte, die Chemikalie mit Lebensmitteln gemeinsam zu transportieren.

Die Haftungsbeschränkung des Art. 23 Abs. 3 CMR sei nach allem gemäß Art. 29 CMR wegen des qualifizierten Verschuldens des Unter-Frachtführers, das sich der Beklagte gemäß Art. 29 Abs. 2 CMR zurechnen lassen müsse, nicht anzuwenden.

 

III. Das OLG Hamm knüpft an bestehende Rechtsprechung an

Der Entscheidung des OLG Hamm ist zuzustimmen. Nach Art. 17 Abs. 4b) CMR ist die Haftung des Frachtführers ausgeschlossen, wenn der Schaden dadurch entstanden ist, dass das Gut nicht so verpackt war, dass es den bei einem vertragsgerecht durchgeführten Transport üblicherweise zu erwartenden äußeren Einwirkungen standzuhalten vermochte.[6]

Es gelten die zu § 411 HGB entwickelten Regeln, wobei dies nicht über ergänzend anwendbares nationales Recht erfolgt. Vielmehr stellt die CMR lediglich autonom weitgehend dieselben Gebote auf wie das HGB, nicht zuletzt deshalb, weil sich die §§ 407 ff. HGB weitgehend an der CMR orientieren.[7] Bei der Anwendung der zu § 411 HGB entwickelten Regeln ist allerdings zu beachten, dass abweichend im Rahmen des Art. 17 Abs. 4b) CMR der Schutz Dritter durch die Verpackung ebenso wenig eine Rolle spielt wie angesichts des Art. 41 CMR Parteivereinbarungen über die Qualität der Verpackung oder die Handelsüblichkeit der Verpackung.[8]

Der Frachtführer, der sich auf den Haftungsausschluss gemäß Art. 17 Abs. 4 Buchstabe b) CMR berufen will, hat zu beweisen - und folgerichtig auch zunächst einmal darzulegen -, dass die Güter verpackungsbedürftig waren und dass eine ausreichende Verpackung gefehlt habe.[9] Die Verpackungsbedürftigkeit des Gutes hängt wiederum – ebenso wie die Anforderungen, die an eine erforderliche Verpackung zu stellen sind – von güter- und beförderungsspezifischen Gesichtspunkten, und damit von objektiven Kriterien ab.[10]

Wie das OLG Hamm hatte auch bereits das OLG Hamburg mit Urteil vom 19.12.1985[11] über einen vergleichbaren Sachverhalt mit einer verunreinigten Ladung Haselnusskernen entschieden. Der Frachtführer müsse sich vor der Übernahme entweder von der Harmlosigkeit einer zuvor beförderten Chemikalie (hier: Bariumcarbonat) überzeugen oder aber das Transportfahrzeug sorgfältig von den Chemikalienresten reinigen lassen. Selbst wenn der Hinweis des Absenders der Chemikalienvorladung auf deren Gefahrgutcharakter fehle, führe dies nicht zu einer völligen Haftungsfreiheit des Frachtführers, sondern begründe nur einen Mitverschuldensvorwurf gegen den Absender. Wie das OLG Hamm in seiner aktuellen Entscheidung stellt auch das OLG Hamburg darauf ab, ob die Verpackung den bei einem vertragsgerecht durchgeführten Transport üblicherweise zu erwartenden äußeren Einwirkungen standzuhalten vermochte. Bei ordnungsgemäßer Beförderung, zu der auch die gründliche Reinigung des Transportfahrzeugs vor der Übernahme dieser Lebensmittelsendung gehöre, seien die in Säcke verpackten Haselnusskerne nicht ihrer Natur nach Beschädigungen durch Ladungsreste aus vorhergehenden Transporten ausgesetzt.

Bestätigt wird das Urteil des OLG Hamm ferner durch die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 11.6.1992.[12] Danach sei die Verpackung einer Sendung von Früchten gemäß Art. 17 Abs. 4b), 18 Abs. 2 Satz 1 CMR unzureichend gewesen. Denn sie habe die Ware gegen die Einwirkung von Kälte nicht so geschützt, dass sie den bei einem vertragsgerecht durchgeführten Transport üblicherweise zu erwartenden Klimaeinwirkungen standzuhalten vermochte.

 

 

Dr. Heiko A. Giermann, LL.M. (McGill)
Partner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht
Lehrbeauftragter der Westfälischen Hochschule

 

Düsseldorf, 20.06.2022

 

[1] Unter Verweis auf Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 18 CMR Rn 4.

[2] Unter Verweis auf Koller, a.a.O., Art. 17 CMR Rn 37 m.w.N.

[3] Unter Verweis auf Koller, a.a.O., Art. 29 CMR Rn 6, Art. 3 CMR, Rn 4.

[4] Unter Verweis auf Koller, a.a.O., Art. 29 CMR Rn 3a.

[5] Unter Verweis auf BGH, Urteil vom 13.12.2012, Az. I ZR 236/11, abgedruckt in RdTW 2013, 271.

[6] Koller, a.a.O., Art. 17 CMR Rn 37 m.w.N.

[7] Koller, a.a.O., Art. 17 Rn 37; Begründung zum RegE des TRG, BT-Drs. 13/8445, 25.

[8] Koller, a.a.O., Art. 17 Rn 37.

[9] OLG Bremen, Urteil vom 8.2.2007, Az. 2 U 89/04, TranspR 2008,253.

[10] Paschke, in: BeckOGK, § 411 HGB, Rn 13.

[11] OLG Hamburg, Urteil vom 19.12.1985, Az. 6 U 188/80, VersR 1986, 261.

[12] OLG Frankfurt, Urteil vom 11.6.1992, Az. 5 U 237/87, NJW-RR 1993, 169.