Ab dem 01.06.2021 können etwaige Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen in Rheinland-Pfalz auch unterhalb der EU-Schwellenwerte gerügt und vor Vergabeprüfstellen überprüft werden. Die entsprechende Landesverordnung bildet den Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte demjenigen oberhalb der Schwellenwerte strukturell nach. Die Regelungen sind damit weit umfangreicher und detaillierter als etwa das sächsische oder das thüringische Vergabegesetz. Für Bieter bedeutet der Rechtsschutz eine substanzielle Verbesserung ihrer Rechte, der Gesetzgeber hat im nachvollziehbaren Interesse zügiger Beschaffung aber vergleichsweise hohe Hürden aufgestellt.
Vergaberecht kennzeichnet sich durch seine Zweiteilung in die Vorschriften für Aufträge oberhalb und unterhalb der EU-Schwellenwerte. Oberhalb der Schwellenwerte sind Bieter berechtigt, etwaige Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen zu rügen und durch die Vergabekammern und Oberlandesgerichte überprüfen zu lassen (§§ 155 ff. GWB). Eine vergleichbare Möglichkeit zur Überprüfung von Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte gibt es in Rheinland- Pfalz und den allermeisten Ländern bislang nicht. Mit § 7 a Abs. 1 des Mittelstandsförderungsgesetzes hat Rheinland-Pfalz bereits 2019 die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung von Vergabeprüfstellen für Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte geschaffen. Die aufgrund dieses Gesetzes erlassene Verordnung tritt am 1. Juni 2021 in Kraft.
Ob der Vielzahl von Ausschreibungen unterhalb der Schwellenwerte nimmt die Verordnung Aufträge geringeren Umfangs von der Nachprüfung allerdings aus. Für den Rechtsschutz gegen etwaige Vergabeverstöße muss der Auftragswert oberhalb von Prüfungswertgrenzen liegen, die die Verordnung definiert. Diese betragen
- für Bauleistungen:
- vom 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2022 100.000,00 € ohne Umsatzsteuer und
- ab dem 1. Juli 2022 75.000,00 € ohne Umsatzsteuer
- für Liefer- und Dienstleistungen:
- ab 1. Juni 2021 75.000,00 € ohne Umsatzsteuer
Für diese öffentlichen Aufträge führt die Verordnung dann eine Informations- und Wartepflicht ein, die § 134 GWB nachgebildet ist. Oberhalb dieser Prüfungswertgrenzen müssen öffentliche Auftraggeber künftig Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden, insb. über den Namen des Bestbieters informieren und dürfen den Zuschlag grundsätzlich erst nach Ablauf einer Frist von sieben Kalendertagen erteilen (§ 4 Landesverordnung). Damit entfällt ein wesentliches rechtliches Hindernis für effektiven Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte. De lege lata hatten Bieter zwar auch schon vor Inkrafttreten der Verordnung die Möglichkeit, die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen im Wege einstweiligen Rechtsschutzes vor den Landgerichten prüfen zu lassen. Sie waren mangels einer Informationspflicht über den beabsichtigten Zuschlag aber in aller Regel faktisch daran gehindert, diese Möglichkeit auch praktisch auszuüben.
Die Neuregelung erfasst öffentliche Aufträge aller haushaltsrechtlich gebundenen Vergabestellen mit Ausnahme oberster Landesbehörden (d.h. insb. Ministerien). Nicht erfasst werden die Unternehmen der öffentlichen Hand in Privatrechtsform. Die Verordnung kennt weiter Ausnahmen vom Anwendungsbereich im Einzelfall, etwa für Vorhaben der Auftragsverwaltung.
Die Vergabeprüfstelle wird bei dem Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz als zentrale Nachprüfbehörde eingerichtet werden. Die gesamte Nachprüfung erfolgt nach dem Willen des Verordnungsgebers als verwaltungsinternes Verfahren. Die Vergabeprüfstelle handelt in einer besonderen Form der Rechts- und Fachaufsicht. Sie ist berechtigt, Weisungen an die jeweilige Vergabestelle auszusprechen und einen erteilten Zuschlag unter bestimmten Voraussetzungen für unwirksam zu erklären.
Die Nachprüfung selbst ist dem Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern oberhalb der Schwellenwerte nach dem 4. Teil des GWB nachgebildet. Eine Nachprüfung findet also nur auf Antrag eines Bieters oder Bewerbers statt, den eine Rügeobliegenheit trifft. Insoweit steht zu erwarten, dass Bieter jedenfalls nach Information über ihre Nichtberücksichtigung künftig unmittelbar nach der Rüge auch die Nachprüfung beantragen werden. Anderenfalls scheint eine sachgerechte Auseinandersetzung mit einer Rüge innerhalb der sehr kurzen Wartefrist von nur sieben Kalendertagen kaum möglich (sofern der Auftraggeber die Frist nicht freiwillig verlängert).
Nähere Informationen zur Rügeobliegenheit, der Einleitung und Durchführung der künftig möglichen Verfahren vor der Vergabeprüfstelle finden Sie unter: Nationale Vergabeverfahren mwvlw.rlp.de.
Selbstverständlich steht Ihnen unser Kompetenzteam "Vergabe und Ausschreibung" auch gerne für sonstige Fragen und zum bloßen Austausch zur Verfügung.
Dr. Andreas Ziegler
Partner
Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim für Vergaberecht
Dr. Dr. Stefanie Theis. L.L. M.
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
Fachanwältin für Vergaberecht
Richterin am Verfassungsgerichtshof RLP
Katharina Strauß
Fachanwältin für Vergaberecht
Fachanwältin für Verwaltungsrecht