Update: Mit dem 4. Bürokratieentlastungsgesetz, dessen Verabschiedung noch vor der Sommerpause 2024 erwartet wird, wird nun auch der digitale Umlaufbeschluss für Vereins- und Stiftungsvorstand sowie Vereinsmitglieder voraussichtilch gesetzlicher Standard werden. Mehr hierzu erfahren Sie hier.
Durch neue digitale Möglichkeiten zur virtuellen Teilnahme und Ausübung von Mitgliederrechten passt der Gesetzgeber das Vereinsrecht an die immer digitalere Lebenswirklichkeit an und gibt den Vereinen die Möglichkeit, ihre Beschlussfassung so zu organisieren, wie es für den Verein am besten geeignet ist. Der neuen digitalen Freiheit für Vereinsmitglieder kommt eine größere Bedeutung zu, als auf den ersten Blick ersichtlich ist, denn die neuen Vorschriften gelten über die Verweisungnormen des § 28 und 86 BGB auch für Vereinsvorstände und Stiftungsvorstände.
Am 09.02.2023 hat der Bundestag einen großen Schritt in Richtung der Digitalisierung des Vereinsrechts gemacht. Nachdem der Gesetzesentwurf des Bundesrates aus dem Juli 2022 die digitale Mitgliederversammlung noch auf eine videokonferenzbasierte Hybridform beschränken wollte, traut das nun vom Bundestag am 09.02.2023 beschlossene Gesetz dem Vereinsleben ein wesentlich höheres Maß an Digitalität zu. Die neuen Vorschriften treten mit der noch ausstehenden Gesetzesverkündigung sofort in Kraft.
Was sind die neuen digitalen Beschlussmöglichkeiten im Vereinsrecht?
Im Wesentlichen gibt es zwei neue digitale Möglichkeiten der Beschlussfassung:
- Hybride Versammlung: Das Organ, das für die Einberufung von Mitgliederversammlungen zuständig ist (in der Regel der Vereinsvorstand), kann künftig in der Einladung zur Versammlung vorsehen, dass Mitglieder zum eigentlichen Versammlungsort elektronisch zugeschaltet sein dürfen. Hierzu ist der Vorstand ohne Änderung der Vereinssatzung befugt.
- Virtuelle Versammlung: Durch Mitgliederbeschluss kann der Vereinsvorstand für die Zukunft auch ermächtigt werden, komplett virtuelle Mitgliederversammlungen einzuberufen.
Für den Ermächtigungsbeschluss ist Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (§ 32 Absatz 2 Satz 2 BGB-neu gemäß § 32 Absatz 1 Satz 3 BGB), aber auch hier keine Satzungsänderung (!). Eine physische Möglichkeit, an einem bestimmten Versammlungsort seiner Mitgliederrechte auszuüben, muss in einer virtuellen Versammlung nicht mehr geschaffen werden. Der Austausch zwischen dem Versammlungsteilnehmern und die Wahrnehmung der Mitgliederrechte findet dann vollständig im Wege der elektronischen Kommunikation statt.
Was ist „elektronische Kommunikation“?
Mit „elektronischer Kommunikation“ sind nach der Gesetzesbegründung grundsätzlich jedwede geeignete Kommunikationsmittel gemeint, z.B.
- Videokonferenz,
- Telefonkonferenz,
- Meinungsaustausch per Internetdialog („Chat“),
- Abstimmung per E-Mail.
Bei der Auswahl der elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten werden die Vorstandsmitglieder freilich berücksichtigen müssen, ob das notwendige Maß an Identitätsprüfung, Datenschutz und Dokumentationssicherheit sichergestellt ist. Beispielsweise wird dies bei Kommunikationsmitteln wie WhatsApp oder Email regelmäßig nicht der Fall sein.
Digitale Umlaufbeschlüsse sind gesetzlich weiterhin nicht vorgesehen
Die Beschlussfassung ist mit dem neuen Gesetz leider noch nicht vollständig an die digitale Gegenwart angepasst. Der Gesetzgeber hat bei seinen Digitalisierungsbemühungen den Umlaufbeschluss "vergessen".
Die Abstimmung über Umlaufbeschlüssen muss nämlich nach wie vor „schriftlich“ erfolgen (§ 32 Abs. 2 BGB-alt bzw. Abs. 3 BGB-neu), was nach der herrschenden Lesart eine elektronische Kommunikation ausschließt. Unter „schriftlich“ versteht man überwiegend die Schriftform des § 126 BGB (siehe Leuschner in MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, § 32 Rn. 67 mwN), d.h. es bedarf einer eigenhändigen Unterschrift aller abstimmenden Mitlieder.
Umlaufbeschlüsse der Vereinsmitglieder können daher mit der notwendigen Rechtssicherheit nach wie vor nur dann auf elektronischem Wege wirksam gefasst werden, wenn die Satzung vom Schriftformerfordernis des § 32 Abs. 3 BGB-neu abweicht.
Vor dem Hintergrund der neuen Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation in der Mitgliederversammlung ist es nicht mehr verständlich, warum der Umlaufbeschluss weiterhin der Schriftform bedarf. Gerade größere Vereine, die die Möglichkeit haben wollen, das praktische Mittel des Umlaufbeschlusses zwischen den Mitgliederversammlungen zu nutzen, sollten daher prüfen, ob sie für die Beschlussfassung durch Umlaufbeschluss auch elektronische Kommunikationsmittel zulassen und die Vereinssatzung entsprechend anpassen wollen..
Ist die digitale Beschlussfassung nun auch in anderen Gremien möglich?
Über Verweisungsnormen gelten die neuen Beschlussfassungsregeln künftig auch für:
- Vereinsvorstände,
- Stiftungsvorstände
- sonstige fakultative Gremien in Vereinen und Stiftungen, z.B. Aufsichtsrat, Kuratorium, Beirat etc.
Im Vereinsrecht gelten die neuen Beschlussfassungsregeln der Mitglieder grundsätzlich auch für Vereinsvorstände (§ 28 BGB). Soweit in der Vereinssatzung nicht ohnehin bereits elektronische Kommunikationsmittel für die Entscheidungen des Vorstands zugelassen sind, profitiert der Vereinsvorstands intern daher auch von den neuen digitalen Beschlussmöglichkeiten.
Dass der Umlaufbeschluss nach wie vor papiergebunden bleibt, wiegt bei dem Vorstand freilich wesentlich schwerer. Denn gerade hier ist die spontane Beschlussfassung ohne Abhalten einer förmlichen Versammlung ein übliches Verfahren, um Entscheidungen zu treffen.
In der Stiftung kommen die neuen Beschlussfassungsregeln gemäß § 86 BGB ebenfalls zur Geltung, sofern es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Stiftung handelt.
Sofern der Verein oder die Stiftung weitere fakultative Gremien hat, z.B. einen Aufsichtsrat, ein Kuratorium oder einen Beirat, so gelten auch hier die (neuen) Beschlussfassungsregeln der Mitglieder entsprechend.
Sie möchten die neuen Möglichkeiten zur digitalen Beschlussfassung in ihrem Verein nutzen und ggf. Satzungsanpassungen vornehmen? Sprechen Sie uns an! Unser Kompetenzteam Stiftungen und Vereine und Unternehmen und Wirtschaft stehen Ihnen gerne zur Seite.
Hubertus Scherbarth, LL.M, B.A.
Rechtsanwalt
Steuerberater