Mit Urteil vom 3.2.2022 (Az.: C-461/20) entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Zulässigkeit der Übertragung von Rahmenverträgen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens wegen Insolvenz. Hierbei kam es maßgeblich darauf an, die noch zulässige Auftragsänderung von der unzulässigen De-facto-Vergabe abzugrenzen. KUNZ-Rechtsanwältin Katharina Strauß und KUNZ-Wissenschaftlicher Mitarbeiter Jan-Lukas Wein stellen diesen Beschluss vor:
Der EuGH hatte in diesem Vorabentscheidungsverfahren zu entscheiden, ob die Übertragung von vier geschlossenen Rahmenvereinbarungen ohne vorherige Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig war und welche Rechte und Pflichten im Vergleich zum (nach Insolvenz liquidierten) ursprünglichen Auftragnehmer den übernehmenden Auftragnehmer treffen. Im vorliegenden Fall hatte der designierte Nachfolger nur die Rechte und Pflichten aus dem konkreten Vertragsverhältnis, nicht aber einen gesamten Geschäftsbereich übernommen. Fraglich war demnach, ob dies für ein „ganz oder teilweise“ an Stelle des ursprünglichen Auftraggebers treten ausreicht.
Der EuGH betont zunächst unter Hinweis auf Art. 72 Abs. 4 RL 2014/24/EU (im deutschen Vergaberecht umgesetzt durch § 132 GWB), dass üblicherweise dann, wenn der ursprüngliche Auftragnehmer durch einen neuen Auftragnehmer ersetzt wird, grundsätzlich davon ausgegangen werden muss, dass darin eine Änderung einer wesentlichen Bestimmung des in Rede stehenden Vertrags liege, die eine Neuausschreibung erforderlich mache. Nur ausnahmsweise sehe Art. 72 Abs. 1 Buchst. d Nr. ii RL 2014/24/EU (so im Wesentlichen wortgleich auch § 132 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. A. GWB) vor, dass ein neuer Auftragnehmer im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung einschließlich Übernahme, Fusion, Erwerb oder Insolvenz ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers treten kann, ohne dass es eines neuen Vergabeverfahrens bedürfte. Zwingende Voraussetzung dafür sei, dass es sich um einen anderen Wirtschaftsteilnehmer handele, der aber die ursprünglich festgelegten qualitativen Eignungskriterien erfülle. Dabei dürfe die Auswechselung des Auftragnehmers jedoch keine weiteren wesentlichen Änderungen des Vertrags zur Folge haben und nicht dazu dienen, die Anwendung der RL 2014/24/EU zu umgehen.
Unter wörtlicher und bewusst enger Auslegung dieser Ausnahmebestimmung erläutert der EuGH, dass die Insolvenz einen Fall der Umstrukturierung auf Ebene des ursprünglichen Auftragnehmers darstelle. Folge ein neuer Auftragnehmer also dem ursprünglichen Auftragnehmer unter Übernahme eines Rahmenvertrags nach, träfen ihn daher dieselben Rechte und Pflichten wie diesen – eines neuen Vergabeverfahrens bedürfe es dann nicht. Ausreichend ist insofern auch die Übernahme nur der Pflichten aus dem konkreten Auftragsverhältnis.
Bei weitergehenden Fragen zu diesem sowie zu weiteren Themen steht Ihnen unser Kompetenzteam „Vergabe und Ausschreibung“ jederzeit gerne zur Verfügung.
Ihre Ansprechpartnerin:
Katharina Strauß
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Vergaberecht
Fachanwältin für Verwaltungsrecht