- Auf den genauen Wortlaut der Bedingungen kommt es an! -
Seit dem ersten Lockdown streiten Versicherer und Versicherte erbittert über die Frage, ob Versicherten Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung zustehen oder nicht (vgl. hierzu insb. unsere Beiträge vom 16.3.2021, vom 24.32021 und vom 1.7.2021). Diese Frage lässt sich auf Grund der Vielfalt der Versicherungsbedingungen nicht pauschal beantworten.
Nun liegt eine erste Entscheidung des BGH vor: Mit seiner Entscheidung vom 26. Januar 2022 – IV ZR 144/21 hat der BGH klargestellt, dass dem Versicherungsnehmer jedenfalls dann keine Leistungen zustehen, wenn sich die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger aus einem auch nach dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers als abschließend zu bewertenden Katalog in den Versicherungsbedingungen ergeben und dort weder die Krankheit COVID-19 noch der Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufgeführt ist.
"Sachverhalt:
Der Kläger hält bei dem beklagten Versicherer eine sogenannte Betriebsschließungsversicherung. Er begehrt die Feststellung, dass der beklagte Versicherer verpflichtet ist, ihm aufgrund der Schließung seines Restaurants eine Entschädigung aus dieser Versicherung zu zahlen. Dem Versicherungsvertrag liegen die "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008 (ZBSV 08)" zugrunde. Nach § 3 Nr. 1 Buchst. a ZBSV 08 ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Falle einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung den Ertragsausfallschaden bis zu einer Haftzeit von 30 Tagen. Die ZBSV 08 lauten auszugsweise:
"§ 2 Versicherte Gefahren
Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
…
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
Krankheiten: …
Krankheitserreger: …
…"
In § 2 Nr. 2 Buchst. a und b ZBSV 08 werden weder die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgeführt. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung ordnete mit der am 18. März 2020 in Kraft getretenen Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung - SARS-CoV-2-BekämpfV) vom 17. März 2020 unter anderem die Schließung von sämtlichen Gaststätten an, wobei Leistungen im Rahmen eines Außerhausverkaufs unter bestimmten Voraussetzungen zulässig waren. Der Kläger schloss daraufhin seine Gaststätte und bot einen Lieferdienst an.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.
Die Entscheidung des Senats:
Der Bundesgerichtshof hat die Revision zurückgewiesen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt der Eintritt des Versicherungsfalls zwar nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden, sogenannten intrinsischen, Infektionsgefahr voraus. Zu Recht hat das Berufungsgericht aber angenommen, dass dem Kläger gegen die Beklagte keine Ansprüche zustehen, weil eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist. Nach § 2 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 1 ZBSV 08 besteht Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem Katalog in § 2 Nr. 2 ZBSV 08, der nach dem für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich zunächst am Wortlaut orientieren und in § 2 Nr. 1 ZBSV 08 dem Klammerzusatz "(siehe Nr. 2)" hinter den Worten "meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger" entnehmen, dass die vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 näher bestimmt werden. Sodann wird er diese Klausel in den Blick nehmen und an der Überschrift "2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger" und der anschließenden Formulierung "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind …" erkennen, dass insoweit eine eigenständige Definition in den Bedingungen erfolgt. Die anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern wird er als abschließend erachten.
Die ergänzende Bezugnahme in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 auf die "im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten" Krankheiten und Krankheitserreger wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer lediglich als Klarstellung verstehen, dass sich die Beklagte bei der Abfassung des Katalogs inhaltlich an §§ 6 und 7 IfSG orientiert hat. Ein anderes Verständnis folgt auch nicht aus dem Begriff "namentlich".
Der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel spricht ebenfalls für die Abgeschlossenheit des Katalogs. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird zwar einerseits ein Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits aber nicht davon ausgehen können, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen will, die - wie hier COVID-19/SARS-CoV-2 gerade zeigt - u.U. erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich ist.
Die Klausel hält auch der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB stand. § 2 Nr. 2 ZBSV 08 verstößt insbesondere nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt - wie dargestellt - dem klaren Wortlaut der Bedingungen, dass in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definiert werden. Ihm wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Offenbleiben konnte, ob die hier in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 genannten Krankheiten und Krankheitserreger identisch mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern sind. Auch im Falle fehlender Deckungsgleichheit ergibt sich hieraus keine Intransparenz. Schließlich benachteiligt die Klausel den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen.
Vorinstanzen:
Landgericht Lübeck - Urteil vom 8. Januar 2021 – 4 O 164/20
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht - Urteil vom 10. Mai 2021 – 16 U 25/21"
(Quelle: Pressemitteilung der Pressestelle des BGH vom 26. Januar 2022)
Anmerkung und Auswirkungen der Entscheidung
Zunächst ist aus Sicht der betroffenen Versicherungsnehmer hervorzuheben, dass der Bundesgerichtshof mit der vorgenannten Entscheidung der häufigen Argumentation vieler Versicherer, wonach die Verwirklichung einer Infektionsgefahr im versicherten Betrieb selbst (intrinsisches Infektionsrisiko) Voraussetzung für einen Anspruch sei, eine Absage erteilt hat.
Dennoch blieb der klagende Gastronom in dem vorgenannten Rechtsstreit aufgrund des Wortlauts der konkret mit ihm vereinbarten Versicherungsbedingungen erfolglos. Insoweit war eine Leistungspflicht nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien insbesondere auf „folgende, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserregern“ begrenzt. In der daraufhin folgenden Aufzählung waren weder die Krankheit COVID-19 noch der Krankheitserreger SARS-Cov-2 aufgeführt. Der Bundesgerichtshof hat zumindest für diesen Bedingungstext festgestellt, dass die dortige Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar verständlich sei und im Übrigen auch nicht von einer Intransparenz ausgegangen werden könne.
Die Entscheidung hat aber keineswegs alle sich stellenden Fragen abschließend beantwortet; insbesondere folgt aus der Entscheidung nicht, dass betroffenen Versicherungsnehmern grundsätzlich keine Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung aus Anlass einer coronabedingten Schließungsanordnungen zustehen können. Denn bekanntermaßen liegen den jeweiligen Verträgen je nach Versicherer sehr unterschiedliche Bedingungswerke zugrunde, die sich vom Wortlaut her von dem, über den der BGH vorliegend entschieden hat, durchaus unterscheiden können. Es ist daher weiterhin durchaus denkbar, dass in anderen Vertragskonstellationen ein Anspruch nichtsdestotrotz auf Basis des dort verwendeten Wortlauts bejaht wird.
Der Streit um die Leistungspflicht aus einer Betriebsschließungsversicherung ist deshalb auch mit der (ersten) Entscheidung des BGH zu diesem Themenkomplex noch nicht beigelegt. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Entscheidungen in anderen Konstellationen ausfallen.
Damit bestätigt sich erneut, wie wichtig der Blick auf die individuell vereinbarten Bedingungswerke ist, um überprüfen zu können, ob Ansprüche in Betracht kommen. Gern beraten Sie hierzu unser Kompetenzteam "Versicherung und Haftung".