Viele Versicherte einer Betriebsschließungsversicherung haben im Rahmen des ersten Lock-Downs im Frühjahr 2020 Abfindungsvergleiche mit Versicherern nach dem Vorbild der sogenannten „Bayerischen Lösung“ abgeschlossen, bei denen gegen Zahlung von gerade einmal 15 % der versicherten Leistung auf alle in Betracht kommenden weiteren Ansprüche verzichtet wurde. Immer mehr Urteile bejahen nun aber Ansprüche der Versicherten in voller Höhe. Damit gewinnt die Frage der Wirksamkeit dieser Abfindungsvereinbarungen an enormer praktischer Bedeutung für viele Gastronomen, Hoteliers etc..
Angetrieben waren diese Vergleichsabschlüsse regelmäßig von dem Verständnis der Versicherungsnehmer, dass mit der Bayerischen Lösung ein Entgegenkommen des Versicherers verbunden sei und ohne entsprechenden Vergleichsabschluss gar kein Anspruch auf Zahlungen in Betracht kommt.
Weil in der Zwischenzeit aber im Rahmen der Aufarbeitung unzähliger Klagen von Gastronomen und Hoteliers wiederholt Gerichte entschieden haben, dass abhängig von den individuellen Vereinbarungen sehr wohl Ansprüche in voller Höhe aus entsprechenden Versicherungen begründet sein können (vgl. hierzu etwa unsere Anmerkungen zu Entscheidungen des LG München vom 01.10. und 22.10.2020, LG Magdeburg vom 06.10.2020 und LG Düsseldorf vom 19.02.2021, Landgericht Flensburg in einem Urteil vom 19.02.2021), sehen sich viele Versicherungsnehmer in ihrer damaligen Entscheidungsfindung über die Vergleichsabschlüsse getäuscht. Besonders bitter: regelmäßig haben die Versicherungsnehmer in entsprechenden Vereinbarungen nicht nur auf etwaige Ansprüche für die Schließungen im ersten Lockdown im Frühjahr verzichtet, sondern auch auf alle zukünftigen Ansprüche wegen Betriebsschließungen infolge des Corona-Virus.
Im Zusammenhang mit diesen Mandatsanfragen können wir nur dazu ermutigen, die mit den Versicherern getroffenen Vereinbarungen einer fachkundigen Überprüfung zu unterziehen. Denn wegen des im Versicherungsrecht tief verankerten Grundsatz von Treu und Glauben hat der Bundesgerichtshof in anderen Versicherungssparten schon Grundsatzentscheidungen getroffen, in denen verschiedene als „Kulanzangebote“ oder „freiwillige Leistungen“ gekennzeichnete Abfindungsvergleiche mit Versicherungsnehmern als unwirksam erachtet wurden, wenn der Versicherer sein überlegenes Wissen über den Vertragsinhalt zu Lasten des Versicherungsnehmers genutzt hat und den Versicherungsnehmer im Unklaren über die wahre Vertragslage gelassen hat.
Diese Rechtsprechungsgrundsätze ergeben ebenso wie die Grundsätze der Beratungspflicht von Versicherungsunternehmen und die Grundsätze der Anfechtung von Rechtsgeschäften, Anhaltspunkte dafür, dass je nach Einzelfall die im Rahmen der Corona-Pandemie abgeschlossenen Vereinbarungen unwirksam sein können. Vorderste Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass nach dem Versicherungsvertrag tatsächlich Ansprüche für die coronabedingten Betriebsschließungen in Betracht kommen. Ob dies der Fall ist, hängt von den individuellen Vertragsbedingungen ab, da auch Versicherungsverträge existieren, bei denen für die Betriebsschließungen wegen der Pandemie keine Ansprüche in Betracht kamen und die Bayerische Lösung einem echten Entgegenkommen der Versicherer entsprach. Für andere Fälle mit für den Versicherungsnehmer günstigen Bedingungen oder Bedingungswerke mit einer immer noch ungeklärten Rechtlage kommt aber eine Unwirksamkeit der Abfindungsvergleiche in Betracht, wenn der Versicherer hierüber bei Vergleichsabschluss schuldhaft einen unzutreffenden erweckt hat.
Die praktische Relevanz im Falle einer Unwirksamkeit ist enorm. Denn in diesen Fällen könnten die Gastronomen und Hoteliers nicht nur die weitergehenden Versicherungsleistungen für den ersten Lockdown ungeachtet der Vergleiche einklagen, sondern je nach Einzelfall auch Versicherungsschutz für erneute Schließungen verlangen. Und sollte sich im Rahmen der fachlichen Prüfung tatsächlich herausstellen, dass der vom Versicherungsnehmer geschlossene Abfindungsvergleich günstig war, weil der individuelle Versicherungsvertrag keinen Versicherungsschutz bietet, kann die juristische Prüfung gleichwohl von entscheidendem Vorteil für den Versicherungsnehmer sein. Denn in denjenigen Fällen, in denen der ungünstige Versicherungsvertrag über einen Versicherungsmakler abgeschlossen wurde, muss auch dessen Haftung in den Blick genommen werden, weil bis zum Frühjahr 2020 verschiedene Versicherungsverträge auf dem Markt verfügbar gewesen sind, aus denen die Versicherer Leistungen erbringen müssen. Hat ein Makler aber schlechteren Versicherungsschutz vermittelt, als es ihm bei sorgfaltsgerechter Beratung möglich war, haftet er für die infolge des unzureichenden Versicherungsschutzes eingetretenen Schäden.
Für eine Überprüfung Ihrer individuellen Verträge und Versicherungsbedingungen stehen Ihnen in unserer Kanzlei Rechtsanwalt Alexander Baulig, Fachanwalt für Versicherungsrecht, und Rechtsanwalt Christian Rech, Fachanwalt für Versicherungsrecht, als Ansprechpartner zur Verfügung.
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