LG München: Gastronom hat Anspruch auf Leistungen aus seiner Betriebsschließungsversicherung nach corona-bedingter Schließung

Das LG München verkündete heute ein weiteres Urteil im Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung. Danach muss die Versicherung an den Wirt des Augustiner Kellers über 1 Mio. Entschädigung zahlen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig

Nachdem das Landgericht München noch vor wenigen Tagen die Klage einer privaten Kindertagesstätte abgewiesen hat (vgl. unseren News-Beitrag vom 22.09.2020) hat die dortige 12. Zivilkammer heute mit einer weiteren Entscheidung zum Verfahrenskomplex der Betriebsschließungsversicherung der Klage eines bekannten Münchner Groß-Gastronomen stattgegeben und ihm eine Versicherungsleistung i.H.v. 1.014.000,00 € aufgrund seiner corona-bedingten Betriebsschließung zugesprochen (Az. 12 O 5895/20). Dieser Entscheidung lagen folgende auszugsweise bekannt gegebenen Versicherungsbedingungen zu Grunde:

㤠1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserreger a) den versicherten Betrieb [...] schließt; [...]

2. Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.07.2000:

a) Krankheiten

[…]

b) Krankheitserreger

[…]

§ 3 Ausschlüsse

1. Der Versicherer haftet nicht

[...]

b) für andere als die in § 1 Ziffer 2 genannten Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für [...]“

 

Vor diesem Hintergrund hat die auf Versicherungsfragen spezialisierte 12. Zivilkammer sämtliche sich in diesem Zusammenhang stellenden Streitfragen im Sinne der Versicherten entschieden: 

Wie die Kammer zunächst feststellte, sei auch das Corona-Virus nach § 1 Ziffer 2 AVB und aufgrund der dortigen Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom Versicherungsschutz umfasst. Zudem sei die vorgenannte Regelung in den AVB ohnehin unwirksam. Denn soweit der Versicherungsschutz durch die AVB-Klausel eingeschränkt werde, müsse dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel bestehe, so die Richter. Diesen Anforderungen genüge die vorgenannte Klausel allerdings nicht, da der durchschnittliche Versicherungsnehmer anhand des Klauseltextes davon ausgehen müsse, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend sei und sich mit dem Inhalt des IfSG decke. Soweit es Zweck der Klausel sei, dies abweichend zu regeln, müsse der Versicherungsnehmer, um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfahren, letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuell geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, die aber dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht bekannt sei, sei nach der Rechtsauffassung der Kammer intransparent.

Abgesehen davon genügte nach Ansicht des Gerichts bereits die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege sowie die nachfolgende Verordnung vom 20.03.2020, um die Leistungspflicht des Versicherers auszulösen, da sich diese ausdrücklich auf die Ermächtigungsgrundlagen im IfSG (§§ 28-32 IfSG) bezogen hätten. Denn nach den vorliegend vereinbarten Versicherungsbedingungen kam es lediglich darauf an, dass der Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei. 

Darüber hinaus sei es laut diesen Bedingungen auch nicht erforderlich, dass das Corona-Virus tatsächlich im Betrieb des Klägers aufgetreten sein müsste. Zusätzlich vertrat die Kammer die Auffassung, dass dem Gastronomen eine Außerhausverkauf vorliegend nicht zuzumuten war. Denn wenn ein Außerhausverkauf für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäften darstelle, stellten diese keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen müsste. 

Letztlich stellten die Richter ebenso fest, dass weder ein Kurzarbeitergeld noch staatliche Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen seien. Denn es handele sich dabei nicht um Schadensersatzzahlungen für Betriebsschließung. Auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag hätten derlei Hilfen daher keinen Einfluss.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der unterlegene Versicherer hat bereits angekündigt, die Erfolgsaussichten einer Berufung überprüfen zu wollen. Der Verfahrenskomplex zur Betriebsschließungsversicherung wird daher nicht nur die nächst höhere Instanz, sondern auch weiterhin die Landgerichte beschäftigen. Laut der aktuellen Pressemitteilung des LG München (https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/landgericht/muenchen-1/presse/2020/17.php) sind allein dort aktuell 86 Klagen zu diesem Themenkomplex anhängig.

 

Die beiden aktuellen Entscheidungen des Landgericht München zeigen erneut, dass sich die Erfolgsaussichten der Geltendmachung von Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung nicht pauschal beantworten lassen, sondern jeweils individuell im Hinblick auf die Versicherungsbedingungen und die Ausgestaltung des Betriebes zu prüfen sind. Hiernach wird aber auch deutlich, dass die seitens der Versicherer vorgebrachten Argumente keinesfalls zwingend sind, sodass sich betroffene Versicherungsnehmer nicht vorschnell mit teils niedrigen Vergleichsbeträgen abfinden lassen sollten.

Für eine Überprüfung Ihrer individuellen Verträge und Versicherungsbedingungen stehen Ihnen in unserer Kanzlei Rechtsanwalt Alexander Baulig, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Medizinrecht, und Rechtsanwalt Christian Rech, Fachanwalt für Versicherungsrecht, als Ansprechpartner zur Verfügung.

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